Erfahrungsberichte Ägypten

Frühjahr 2014: Ägypten steht kurz vor den Präsidentschaftswahlen, das Ergebnis ist vorhersehbar. Aber wir wollten nicht über die politische Zukunft des Landes sprechen sondern über "Jugendsozialarbeit im Aufbruch." Einige der Berichte, die nach der Informationsreise entstanden sind, folgen hier nachfolgend.

Es genügt nicht nur die Regierung zu wechseln - Jugendliche Ägypter nach zwei Revolutionen
von Wolfgang Noack

 

Bei den Pyramiden in Gizeh stehen sich die Kamele die Beine in den Bauch und die Guides stürzen sich auf jeden Touristen, der sich dieser historischen Stätte nähert. In der Altstadt von Kairo ein ähnliches Bild: das Angebot an Figuren, Ketten, Ringen und Postkarten ist endlos. Allein die Souvenirkäufer aus aller Welt fehlen. Ägypten durchlebt eine schwierige Zeit, befindet sich nach Protest, Revolution, Wahl, erneuter Revolution und vor der erneuten Wahl in einer Art Schwebezustand.

 

Auch wenn zwischenzeitlich die Wahl so ausgegangen ist, wie die große Mehrheit der Ägypter es erwartet hat und der Ex-Armeechef Abdel Fattah al-Sisi zum neuen Präsident gewählt wurde, bleibt die angespannte Erwartung in dem Land spürbar. "Seit der Revolution vom Frühjahr 2011 herrscht Chaos in Ägypten." So beschreibt Dr. Ahmed Milligui vom Sozialforschungsinstitut NCSCR die Situation.

 

Zur Erinnerung: Nach Protesten musste Präsident Mubarak im Februar 2011 zurücktreten. Es folgten Verfassungsreferendum, Übergangsregierung und Militärrat, weitere Proteste und Ausnahmezustand. Im Juni 2012 gewinnt dann der frühere Muslimbruder Mohammed Mursi die Präsidentschaftswahl. Haushoch, wenn auch nicht ganz ohne Fälschungen. Alles sollte innerhalb von drei Monaten besser werden, versprach er. "2012 meinte man die Muslembrüder könnten das Land regieren." Was aber kam war für Ahmed Milligui ein "religiöser Faschismus". "Ägypten will keinen politischen Islam", so schätzt auch der deutsche Botschafter im Kairo Michael Bock die Situation ein. Warum aber dann diese sehr hohe Zustimmung zu Mursi? Die Ägypter so Bock "waren das feudal-autoritäre System Mubaraks Leid und die Muslembrüder unterstützen mit viel sozialem Engagement die arme Bevölkerung".

 

Die versprochene Verbesserung der wirtschaftlichen Situation bleibt aus, religiöse Auseinandersetzungen nehmen zu und im Juni 2013 gehen wieder zehntausende Ägypter auf die Straße und fordern nun den Rücktritt von Mursi. Im Juli 2013 befindet sich das Land in einer Sackgasse und das Militär setzt den Staatspräsidenten Mursi ab. Von einem Militärputsch spricht man in Europa. Die meisten Ägypter hingegen sehen das ganz anders und sprechen von der zweiten Revolution, die nun in eine demokratische Zukunft führen soll. Noch einmal Ahmed Milligui: "Wir hatten gehofft, die Europäer würden uns bei den Protesten gegen Mursi unterstützen". Mohamed Sabreen der Chefredakteur der englischsprachigen ägyptischen Wochenzeitung "Al Ahram" beschreibt das noch etwas schärfer: "Wir wollen kein zweites Afghanistan oder Gaza werden". Diese zweite Revolution einte die Ägypter gegen radikale Islamisten und einen drohenden Bürgerkrieg. Hoffnungsträger wurde Sisi, der General, der die Muslembrüder in die Wüste schickte und eigentlich nie Präsident werden wollte. Nun blickt sein Gesicht von jeder Plakatwand, im Bazar werden T-Shirts mit seinem Konterfei angeboten und Bilder auf denen er schwer gebückt das ganze Land auf seinen Schultern trägt.

 

Vielleicht ist das Bild gar nicht so schlecht gewählt. Leicht wird es der General, der nun als Zivilist die Geschicke des Landes lenken wird nicht haben. Auch wenn er die Wahl mit 96 Prozent gewann, so gingen doch nur 24 Millionen der 54 Millionen Wahlberechtigten an die Urnen. Ein überwältigter Vertrauensbeweis wie vorher angenommen ist das nicht. Die Erwartungen sind groß, insbesondere von den jungen Menschen, die die Hälfte der Bevölkerung Ägyptens ausmachen. "Das größte Problem ist die Arbeitslosigkeit der Jugendlichen" sagt Gehad Amer vom Ministerium für Jugend und Sport. Offiziell liegt die Zahl bei 13 Prozent, in Wirklichkeit sind aber fast 30 Prozent der Jugendlichen betroffen. Alle wollen beim Staat und bei den Behörden arbeiten, "wir aber versuchen die Jugendliche davon zu überzeugen sich bei privaten Firmen zu bewerben" sagt Gehad Amer. Dabei gehen die Mitarbeiter des Ministeriums in die Provinz, veranstalten Jobmessen und bringen Jugendliche und kleine Unternehmer zusammen. Über 4000 Jugendzentren betreut das Ministerium in ganz Ägypten in denen Jugendliche ihre Freizeit verbringen können oder an Technik-, Computer- und Sprachkursen teilnehmen können, nur "Religiöse Bildung lassen wir in den Jugendzentren nicht zu" so Frau Amer.

 

Ein Projekt für Mutige ist das icecairo (innovation, collaboration, entrepreneurship), ein Netzwerk, das sich um grüne Technologien kümmert. Die jungen Erwachsenen im zweiten Stock eines Altbaus in der City von Kairo bieten ökologische Seminare, experimentieren mit recycelten Produkten, knobeln an neuen Geschäftsideen und sind dabei international vernetzt. "Wir arbeiten zusammen, auch mit dem deutschen ice-bauhaus, um ökologische und soziale Herausforderungen zu lösen" erzählt Mustafa Hussein. Sie waren bei beiden Revolutionen auf dem Tahrir-Platz und hoffen nun auf ein demokratisches Ägypten ohne politische oder religiöse Gängelung.

 

Neben Bildung und Schaffung von Arbeitsplätzen ist nach der kurzen Mursi-Ära die religiöse und kulturelle Toleranz die größte Herausforderung in dem nordafrikanischen Land. "In Ägypten leben seit vielen hundert Jahren Moslems und Christen friedlich zusammen", sagt Nahla Bakry die mit anderen einen  Verein in einem Stadtteil in Kairo gegründet hat, mit dem Ziel Toleranz zu leben. "Wir mussten an der zweiten Revolution im vergangenen Jahr teilnehmen, denn in Ägypten wurde plötzlich wieder nach der Religionszugehörigkeit gefragt. Die Muslembrüder begannen Hass zu schüren." Auch der koptische Priester Karas und der Moslem Sheikh Rezk Shahin gingen zusammen auf die Straße, "weil wir zeigen wollten", so Karas, "wir sind zusammen für dieses Land verantwortlich".

 

Ähnlich sieht das auch Khaled Salah von der Tageszeitung "Youm7" die vor allem von jungen Menschen im Internet gelesen wird. "Es genügt nicht", so Salah, "nur die Regierung zu wechseln, wir müssen auch unsere Kultur ändern". Und das dies nach der Mubarak-Zeit und dem Mursi-Intermezzo Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz heißt, ist besonders bei den Jugendlichen in Ägypten zu spüren. Daran wird sich der neue Präsident messen lassen müssen, sonst kann sich der Tahrirplatz ganz schnell wieder füllen.

"Schrauben nach der Revolution" ist der Titel eines Berichts von Caspar Tobias Schlenk in dem er die riesigen Aufgaben erläutert, vor denen die neue Regierung beim Thema Jugendarbeitslosigkeit darstellt.

 

Im Frühjahr 2011 fegte die ägyptische Revolution die alte Machtclique um Hosni Mubarak aus dem Amt. Vor allem junge Menschen mit einem hohen Organisations-grad und vernetzt über Web-2.0-Medien hab-en diese Arabellion getragen. Im Frühjahr 2012 fuhr eine PNJ-Gruppe nach Kairo um   zu sehen, wie gut die Medien-bildung und Medienbindung wirklich ist. Welche Rolle spielt Medienkompetenz inzwischen, und welche Medien interessieren junge Menschen? Hier die Berichte unserer Teilnehmer.

Jugend und Medien in Ägypten
eine Analyse von Dr. Mohammed Rashed

Die Entwicklung der Medien in Ägypten Anfang des 20. Jahrhundert, die Druckereibetriebe, und später die Erfindung des Fernsehens, führte zur Verbreitung von Kultur und Information in den verschiedensten Bereichen.

 

Doch diese Medien wurden kontrolliert und manipuliert,  nur erwünschte, regierungskonforme Inhalte schafften es durch die Zensur und wurden vermittelt. Das diente dem Interesse des Landes oder vielmehr dem der Herrscher; es sollte ihre Popularität steigern und ihre Macht festigen. Der rasante technische Fortschritt, forciert durch die Erfindung des Computers, zog spürbare Veränderungen, nicht nur in der Wirtschaft, sondern besonders in sozialen und kulturellen Bereichen nach sich.

Das Individuum war nun nicht mehr beschränkt auf nur eine Informationsquelle, was die Denkweise stark prägte. Tabus wurden gebrochen und der Kontakt, der Austausch mit anderen wurde nicht mehr behindert.

 

Diese Tendenz stieg rasant durch Schaffung sozialer Netzwerke, wie z.B. Facebook und Twitter. Auch diese Neuentdeckung wurde und wird immer noch von Politikern weltweit genutzt, um ihre politischen Ziele umzusetzen. So nutze zum Beispiel der Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, Facebook mit großem Erfolg für seinen Wahlkampf. Menschen finden sich, interagieren miteinander, tauschen sich aus und mobilisieren sich zur Aktion. Dies hatte zum Ergebnis, dass Facebook  nun weltweit als unterstützendes Mittel für Veränderung gilt.

Die Ägypter litten seit der Revolution von 1952 unter der Herrschaft von Diktatoren: Gamal Abd el-Nasser (1953-1971), Anwar as-Sadat (1971-1981), Hosni Mubarak (1981-11.02.2011),  die aus militärischen Institutionen stammten.

 

Das Regime unter Mubarak wurde stets als demokratisch dargestellt, ohne wirklich demokratische Inhalte zu besitzen. Das System wurde aufrechterhalten von einer Gruppe von einflussreichen Menschen, die sowohl aus dem Militär, als auch aus wirtschaftlichen und kulturellen Bereichen stammten, die ihr gemeinsames Interesse, ihre Macht zu festigen, über in ihrem Besitz stehende Informationsverbreitungsmittel zu erreichen versuchten.

 

 Wichtig zu wissen ist, dass die Medien in  Ägypten aus staatlichen Informationsmitteln  und privaten Kommunikationsträgern  bestehen.

 Die drei größten Zeitungen, „al-Ahram“, „al-  Ahkbar“, „al-Gumhuriya“ und weitere  Zeitschriften gehören zu den staatlichen  Informationsträgern. Ihre Chefredakteure  werden von der Regierung ernannt. Außerdem gibt es noch das staatliche Fernsehen, bestehend aus etwas mehr als zehn Fernsehkanälen.

Neben den staatlichen sind zahlreiche Privat-Medien, wie Partei-abhängige Zeitungen, z.B. „al-Wafd“ und „al-Ahali“, sowie politisch unabhängige Zeitungen, z.B. „al-Masriljaum“, „Adustur“, außerdem viele private Fernsehkanäle, z.B „al-Haya“, „al-Farain“, „ontv.“, etc.

 

Die meisten dieser Medien arbeiteten eng mit der Regierung zusammen, auch wenn sie unterschiedliche Ansichten repräsentierten. Anstatt soziale und die Jugend betreffende Probleme zu bearbeiten, galt es, mit inhaltslosen Sendungen, teilweise gefüllt mit unsachlichen und undemokratischen, manchmal sogar gewaltsamen Diskussionen, von Missständen abzulenken und die Quote zu erhöhen. Meist wurde aber über die Aktivitäten des Präsidenten selbst, seiner Frau und seiner Söhne berichtet.

 

Die Ungerechtigkeit auf allen Ebenen, die Ausdehnung der Korruption und der Vertrauensverlust zwischen Regenten und Volk, der klassenunabhängige Kampf um Arbeit und um Existenz  und die zunehmende Gewalt seitens der Sicherheitsbeamten gegenüber Angeklagten und der politischen Opposition, trieb die Oppositionsbewegung, sowohl die öffentliche, als auch die im Untergrund tätige, an. Diese umfasste Studenten, Arbeiter staatlicher Institutionen und einfache Angestellte. Darunter fallen die Bewegungen von „Kifaya“, die „6.April“  und die „Unterstützung-el-Baradei“, dazu noch zahlreiche religiöse Gruppierungen, wie z.B. die der Moslembrüderschaft.Die letzten Jahre, ausgehend von 2008, war die politische Bühne Ägyptens geprägt von Streik  und Demonstrationen.

 

Sowohl die Regierenden als auch die Opposition dieser Jahre beschuldigten stets die Jugend Ägyptens, zu passiv und politisch ungebildet zu sein sowie der Heimat gegenüber geringe Loyalität zu zeigen und nicht genug am Staatsleben zu partizipieren. Diese Anschuldigungen waren meines Erachtens haltlos: Die Jugendlichen verloren ihr Vertrauen nicht nur zu den Regierenden sondern auch zum Großteil der Opposition und betrachteten diese als Opportunisten, die keine Veränderungen vorantreiben würden, und fühlten sich demnach von beiden Seiten vernachlässigt und unvertretbar.

 

Trotzdem versuchten beide Seiten, die Jugend für sich zu gewinnen, so wurde z.B. das Jugendparlament in einigen Provinzen Ägyptens etabliert, was jedoch nur von Verwandten oder Anhängern der Regierung besetzt wurde.

 

Schon längst wurde aber ein anderes Mittel gefunden, um nicht-manipulierte Informationen zu erhalten: Eine parallele Medienwelt neben der staatlich etablierten, die im Internet verkörpert ist. Es entstanden zahlreiche online-Zeitungen, die Namen von Dörfern, Städten, Vereinen oder gar Personen trugen, vor allem von Jugendlichen, die meist am besten im I.T.-Bereich „klarkommen“, erstellt und geführt. So mischten sie sich nach und nach in die Politik ein und versuchten ihre Vorstellungen darzustellen: eine Gesellschaft ohne Korruption, voller Gerechtigkeit und Würde. Sie drehten kleine Filme mit großem, symbolischem Effekt, wie z.B. Bewohner eines Dorfes den langjährigen Bürgermeister, der sie missachtete und ausnutzte, stürzen. Oder sie veröffentlichten Beweise gegen Korrupte oder Gewaltanwendung der Sicherheitsbeamte gegen Unschuldige. Über dem Videoportal Youtube werden diese Filme vervielfältigt und verbreitet.

 

Der große Umbruch begann gegen Juni 2010, als Polizisten einen dieser Blogger, der einen Film über die gewaltsamen Handlungen gegen Unschuldige veröffentlichte, festnahm und zu Tode misshandelte. Um dies zu vertuschen, gab man ihn als Drogensüchtigen an, der angeblich beim Erblicken der Polizisten ein Päckchen Drogen verschluckt und daran erstickt sein sollte. Sein Name war Khalid Said. Als dieser Polizeimord in Alexandria bekannt wurde, gingen Tausende, einschließlich El-Baradei, auf die Straße.

 

Binnen sehr kurzer Zeit wurde die Geschichte in ganz Ägypten verbreitet und eine Seite auf Facebook unter dem Namen „Wir alle-Khalid Said“ fand schnell bis eine Millionen Anhänger.

 

Dazu erschienen zahlreiche Seiten, die über Gewaltaktionen der Staatsbeamten berichteten. So wurden über Facebook viele Aktivisten bekannt. Darunter Herr Wael Ghonim, der das ägyptisches Google vertritt, Frau Asma Mahfuz, die auf Youtube zur Demonstration aufforderte, Herr Abd-Uruhman Mansur und Herr Micheal Nabil, der vom Militärgericht für drei Jahre inhaftiert und durch Mediendruck gerade freigelassen wurde. Die genannten Aktivisten sind alle unter dreißig Jahre alt.

 

Alle kamen auf die Idee, am 25. Januar 2011 (Tag der Polizei) die Würde, die Ehre und den Ruf von Khalid Said gegen die Polizei zu rehabilitieren und daneben eine Änderung der Politik nach dem Motto „Freiheit, Brot, Würde und Gerechtigkeit“ zu verlangen. Mit Hilfe der „neu entdeckten“ Medien gelang es ihnen tagtäglich Millionen von jungen Ägyptern zu mobilisieren. Durch diesen Zusammenhalt konnten sie etwas erreichen. Nämlich das Staatssystem zu kippen und Mubarak und sein Regime zu stürzen.

 

Dieser schier unglaubliche Erfolg rückte die Jugend und Kinder, Mädchen und Jungen Ägyptens in den Mittelpunkt. Das hatte eine große Veränderung des Medienbildes zur Folge.
So sehen wir zum ersten Mal sowohl im staatlichen Fernsehen, als auch privat Jugendliche, die über ihre Probleme und ihre Vorstellungen diskutieren. Trotzdem sind die Medien noch nicht ohne Tabus und zensurfrei. Sobald nämlich beispielsweise das Militär kritisiert wird, wird das Thema gewechselt.

 

Frau Nagla Al-Jamal bestätigt in ihrer Doktorarbeit, die im Oktober 2011 in der Fakultät für Information der Universität Kairo vorgetragen wurde, dass es den konventionellen Medien Ägyptens an Kritik und sachlichen Themen mangele und ca. 80 Prozent der Jugend unzufrieden sei und andere, moderne Medien, wie das Internet, bevorzugten. Sie fordert, die Internetnutzung zu unterstützen und über Veranstaltungen in Vereinen der Universitäten und Jugendzentren, die Jugend zum Austausch anzuregen.

 

So finden jetzt Versammlungen, Vorträge und Seminare, die von unabhängigen sozialen Gesellschaftsorganisationen oder internationaler Korporationen organisiert werden, mit dem Ziel, die Interessen und Einstellung der Jugend kennenzulernen und sie weiter in den Vordergrund zu rücken, statt.

 

 Als Beispiel zu nennen ist die „Deutsche  Welle Akademie“, die gemeinsam mit dem  „Deutschland Zentrum“ am 24. - 26.Mai 2011  in Kairo ein Seminar über die Jugend und  Medien veranstalteten. Außerdem organisiert  die „Euro-Mediterranean Academy for Young  Journalists (EMAJ)“, in Zusammenarbeit mit  dem Schwedischen Institut in Alexandria und  der AlexAgenda Seminare in der Zeit vom  22. April bis zum 2. Mai 2012. Unter dem  Motto „Soziale Medienmittel in einer veränderten Welt“ sollen junge Journalisten verschiedener Informationsträger, im Alter von 18 - 25 Jahren, teilnehmen.

 

Erwähnenswert ist auch, dass nun in der Bibliothek Alexandrias ein online-Radio eingerichtet wurde, das von Jugendlichen für Jugendliche und Vertreter weiterer Altersgruppen organisiert wird.

Während unserer Reise, die in der Zeit vom 15.-21. März 2012 vom Pressenetzwerk für Jugendthemen in Bonn organisiert wurde, trafen wir Jugendliche verschiedensten Alters und unterschiedlicher Herkunft. Ich stellte fest, dass ca. 80 Prozent mit der Revolutionsaktion zufrieden waren, ca. 98 Prozent jedoch von der gegenwärtigen Lage enttäuscht seien. Sie führen folgende Gründe auf: das Militär sei nicht engagiert genug und würde nicht auf die Forderungen der Jugendlichen eingehen. Die Medien würden nur zur Verwirrung beitragen und beschuldigten die Jugend, das Land in Chaos gestürzt zu haben. An der Unzufriedenheit trage außerdem die mangelnde Sicherheit auf den Straßen Ägyptens bei. Einige unter den Jugendlichen äußerten Reue, an der Revolution teilgenommen zu haben, 
andere erfülle dies mit Stolz.

Nach eigener Beobachtung während der Reise kam ich zu folgenden Schlüssen:

 

  • Die ägyptischen Medien haben ihren Stil trotz des ausgetauschten Personals und der politischen Lage beibehalten: Unter Mubarak führte die Kritik an der Opposition, heutzutage wird gegen Mubarak und seine Anhängern gestichelt und polemisiert.
  • Weiterhin überwiegen Sendungen ohne wirklichen informativen Inhalt.
  • Diejenigen, die die Revolution initiierten und führten, waren Kinder und Jugendliche, Mädchen und Jungen.
  • Diejenigen, die die Früchte ernteten sind ältere Herren aus islamischen Strömungen, die langsam an die Macht kommen.
  • Die Jugendlichen gewannen mit der Revolution ein neues Selbstbewusstsein und behaupten, in der Lage zu sein, die Situation in Ägypten zu verändern, solange der Tahrir-Platz da sei - dies hörte ich häufig.
  • Die schlechte wirtschaftliche Lage, die rapide Zunahme von Arbeitslosigkeit und  Armut, das fehlende Sicherheitsgefühl auf der Straße, die Spaltung der Gesellschaft in pro und contra Militär, außerdem das verlorene Vertrauen unter und innerhalb der Gruppierungen und Parteien, all das führt zur Vermehrung der Anhänger des früheren Präsidenten, Mubarak, was sogar auf Facebook zu verfolgen ist. So hört und liest man paradoxerweise „Yaum min ayamak ya Mubarak-Wir sehnen uns nach nur einem deiner Tage, Mubarak“.
  • Die absolute Mehrheit der Bevölkerung ist immer noch friedlich und gegen jegliche Form von Gewalt. Obwohl die Gruppe, die ich begleitete, nur aus jungen Frauen bestand, bekam ich im Gedränge von Männern und Frauen, alt und jung, Tag und Nacht, keine einzige Belästigung oder Beleidigung mit.

Im Gegenteil, das, was wir am häufigsten zu hören bekamen war: „Welcome in Egypt“.

 

Klassische Medien versus Netzaktivisten
In einem Bericht für den Medien Monitor beschreibt Karen Grass, welchen Einfluss die Sozialen Netzwerke auch auf die Berichterstattung der klassischen Zeitungen haben, und wie die "Neuen Medien" mit ihren vor allem jüngeren Nutzern jetzt ihren Platz in der Gesellschaft im Umbruch suchen.

 

Medienrevolution?


Ein Besuch in Ägypten nach der Revolution, vor der Reform
von Nadine Pflug

Die Sonne scheint, der Wind weht durch die verkehrsreichen Straßen Kairos und unser Bus hält neben einer großen Betonmauer. Dahinter eine Schule. Nur für Mädchen. Es wird spannend. Wie wird in Ägypten gelernt? Da wir eine deutsche Delegation sind, dürfen wir den Deutschunterricht besuchen. „Wo ist Frankfurt?“ fragt die Lehrerin in die 9. Klasse hinein. Zwanzig Mädchen mit rosa und weißen Kopftüchern melden sich. Eine Schülerin darf antworten, nachdem sie aufgestanden ist. „Eine Stadt in Hessen.“ sagt sie ohne Akzent.

Kurzzeitig wirkt es wie als ob die Zeit stehen geblieben ist. Frontalunterricht und Auswendiglernen stehen auf dem Deutschlehrplan, das einzige zusätzliche Medium, das die Sprache vermittelt, ist ein Schulbuch.  


Kaum wollen wir aus den Raum wieder verlassen, wird es unruhig in der Klasse. Die Sitzordnung gerät durcheinander. Die zwanzig jungen Ägypterinnen wollen unsere Namen wissen. Sie fragen, ob wir bei Facebook sind. Sie zücken ihre Smartphones. Sie machen Videos und Bilder, die ich am nächsten Tag in meinem Posteingang finde. In dieser Schule in Kairo treffen die alte und neue mediale Welt aufeinander.

 

In ihrer Freizeit gehen die jungen Ägypterinnen und Ägypter selbstverständlich mit den neuen Medien um, nur in den staatlich geführten Institutionen haben sie noch keinen Eingang erhalten. Sie werden eher als Bedrohung statt als Hilfe wahrgenommen.

 

 Lautlos mag zwar als Handyton angenehm  sein, lautlos hätte aber am liebsten auch die  Regierung unter Mubarak die Stimmen der  ägyptischen Jugendlichen gehabt.  Teilnehmende des Nationalen Jugendrats  erklären uns in Kairo von ihrem Engagement  bei der Bewegung des 6. Aprils. Sie haben  ihre eigene Facebook-Gruppe gegründet und  setzten sich zunächst dafür ein, mit  Protesten auf die steigenden  Lebensmittelpreise aufmerksam zu machen.  Später mit Beginn des Arabischen Frühlings wurden die Facebook-Anhänger auch dazu aufgerufen ihren Unmut auf dem Tahrir-Platz Luft zu machen. Facebook diente als erste Informationsquelle. Termine und Treffpunkte wurden per Twitter oder SMS weitergegeben. Aber auch diejenigen, die nicht ständig online waren, haben per Buschfunk und Mund-zu-Mund-Erzählung von den Demonstrationen erfahren. Zwischendurch wurde das Internet vom Mubarak-Regime vollkommen blockiert. Vielen blieb Facebook als Austauschplattform verweigert. Eine reale Plattform musste folgen.

 

Dies ist der Grund warum das Goethe-Institut, nur wenige Meter vom Tahrir Platz entfernt, die „Tahrir-Lounge“geschaffen hat. Im Kellergeschoss des alten Gebäudes befinden sich zwei licht durchflutete Räume, die für Seminare und Diskussionsforen zur Verfügung stehen. Hier treffen Aktivisten von Nichtregierungorganisationen, Blogger und politisch interessierte junge Menschen zum Austausch aufeinander. Das Treffen mit Menschen wird immer noch dem Chatroom vorgezogen. Nur nicht jede und jeder kann die weite Fahrt in die Stadt auf sich nehmen und so stehen Berichte und Videos auch online. Auf der Facebook-Seite der Tahrir-Lounge wird Solidarität mit weiteren Protesten, auch in Syrien, demonstriert.

 

Auf unserer Reise haben wir die Generation nach der Revolution kennen gelernt. Ihr Wünsche und Träume können noch in Erfüllung gehen und werden auch durch das Internet und neue Sichtweisen beflügelt. Trotzdem waren und bleiben die Proteste auf dem Tahrir-Platz eine Bewegung der Menschen, nicht der Medien. Über deren Fortgang werden wir uns aber weiterhin über verschiedene Medien informieren; bis zur nächsten Reise.

 

Schüleraustausch auf der Kippe
Über Jugend und Medien berichtet auch Tanja Kasischke in ihren Artikeln. Sie hat aber am Rande des PNJ-Programms auch eine Geschichte entdeckt: Der Schüleraustausch zwischen Boromäus-Schulen in Villingen und Kairo steht auf der Kippe. Hier ist die Story dazu.

 

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Wie wichtig nimmt die ägyptische Gesellschaft Jugendsozialarbeit? Dieser Frage wollte unsere Reisegruppe im März 2010 in Kairo und Alexandria nach gehen. Hier einige Berichte, die nach dem Programm entstanden sind.

Blog "Odysee"
von Gabi und Klaus Komatz

Gabi und Klaus Komatz, Mitarbeiter im Archiv der Jugendkulturen in Berlin, verlängerte seinen Jahresurlaub, um an unserem Programm teilzunehmen. Ihre Erfahrungen haben sie im Blog "Odysee" zusammen getragen.

Mit Kunst und Musik gegen die Armut 
von Christiane Wohlhaupter

 

„Polizist, Arzt oder Fußballspieler“, zählt Ali Mohamed seine Traumberufe auf. Der Elfjährige ist ein helles Köpfchen: aufgeweckt, aktiv und neugierig. Wenn er spricht schwingt viel Begeisterung in seiner Stimme mit und seine Augen strahlen.

 

Aber Mokattam scheint nicht der richtige Platz für große Träume zu sein. Es ist eine der ärmsten Gegenden Kairos. Hier auf dem Berg sammelt sich der Müll der Millionenstadt. Große Familien leben auf engstem Raum zusammen. Viele Eltern haben keine oder eine sehr schlechtbezahlte Arbeit, können nicht lesen und nicht schreiben. Die Kinder bis zum Abschluss die Schule besuchen zu lassen ist eine große finanzielle Belastung. Obwohl die staatlichen Schulen umsonst sind, fallen Gebühren für Schuluniform und verpflichtende Nachhilfestunden an. Die Schulen sind überfüllt, 60 Kinder pro Klasse sind keine Seltenheit.

 

Viele Familien haben bei einem verheerenden Erdbeben 1992 ihr Zuhause und alle Besitztümer verloren. Die Umsiedlung in die von der Regierung gebauten Häuser ist ihnen schwer gefallen. Nach wie vor fühlen sie sich fremd. Öffentliche Verkehrsmittel sind kaum verfügbar. Viele der Kinder haben noch nie das Viertel verlassen und kennen weder Nil noch Pyramiden.

Gegen diese Trostlosigkeit wollten Azza Kamel und ihre Mitstreiter vorgehen. Mit Kunst, Musik und Theater will die Hilfsorganisation Alwan Wa Awtar Kindern und Jugendlichen aus Mokattam Chancen bieten, ihnen helfen, sich weiterzuentwickeln und über sich hinauszuwachsen. In ihrem Alltag kommen die Jungen und Mädchen kaum mit Kunst oder Musik in Berührung, wie Azza Kamel, Geschäftsführerin von Alwan Wa Awtar, berichtet. Im Lehrplan der staatlichen Schulen ist Kunst- oder Musikunterricht nicht vorgesehen, auch Zuhause hat kaum jemand Malstifte – geschweige denn ein Instrument. Also kommen die Kinder zum zeichnen, basteln und musizieren ins Zentrum von Alwan Wa Awtar.

 

Die Räume sind in freundlichen Tönen gestrichen, an den Wänden hängen Bilder, die die Kinder gemalt haben. Darunter Optimistisches, wie ein koptischer Christ und ein Moslem die gemeinsam für ein friedliches Ägypten eintreten. Aber auch das Bild von einer Friedenstaube, die von einer Hand gezeichnet und von der anderen ausradiert wird.

In der Kunst und in ihren Aufführungen kommen viele der gesellschaftlichen Probleme zum Ausdruck. Azza Kamel berichtet, dass viele Kinder in einer gewalttätigen Umgebung aufwachsen. Einer Umgebung in der Mütter und Kinder geschlagen werden, in der Töchter und Söhne oft wenig Zuwendung erfahren und als lästig empfunden werden. „Wir wollen ihnen Alternativen aufzeigen“, sagt Kamel.

 

Weil die Menschen erwarten, dass Hilfsorganisationen Lebensmittel verteilen oder Kredite vergeben, standen viele Eltern Alwan Wa Awtar zunächst kritisch gegenüber. Was kann das schon bringen, wenn der Sohn Singen lernt oder die Tochter töpfert? Doch seit der Gründung Anfang 2006 ist die Akzeptanz stetig gewachsen. Während die Organisatoren 2006 noch Schwierigkeiten hatten, zehn Kinder für ein Ferienprogramm zu finden, nutzen inzwischen 4000 Kinder das Angebot. 15 Freiwillige und 15 Festangestellte kümmern sich um die Kinder. Immer wieder erhalten Azza Kamel und ihr Team internationale Unterstützung. Ausländische Freiwillige arbeiten in Mokattam mit – und bringen den Kindern so die weite Welt näher.

Abgesehen von Töpfern, Malen oder Musizieren lernen die Kinder bei Alwan Wa Awtar auch, sich in eine Gemeinschaft einzufügen und Verantwortung zu übernehmen. Außerdem erfahren sie Bestätigung und Respekt, was sie in Schule und Elternhaus oftmals vermissen. Ali und seine Freunde Ibrahim Shraf und Ahmed Abdel Fatlah sind jedenfalls direkt nach der Schule hergekommen.

 

„Wir sind deshalb so erfolgreich, weil wir den Kindern nichts aufdrücken, sondern sie selbst machen lassen“, sagt Azza Kamel. „Veränderung muss von Innen kommen und kann nicht von außen übergestülpt werden.“ Außerdem ist ihr wichtig, den Kindern die Möglichkeit zu geben, Dinge selbst herauszufinden. Vieles funktioniert hier nach dem Prinzip „Learning by doing“. Mit der Lochkamera wird etwa so lange experimentiert, bis die richtige Belichtungszeit und der richtige Abstand gefunden ist. Jeder der Teilnehmer hat so seine Vorlieben: Ali kommt hierher, um im Chor zu singen, Musikinstrumente wie Keyboard oder Gitarre zu lernen oder um Kerzen zu ziehen. Ibrahim fotografiert gerne und Ahmed spielt am liebsten Theater.

Zielstrebig und fleißig genug wirken sie. Wer weiß, vielleicht gelingt es ihnen, ihre Träume umzusetzen, so dass aus Ali tatsächlich eines Tages ein Arzt, aus Ibrahim ein Pilot und aus Ahmed ein Musiklehrer wird.

 

Im April 2008 besuchte eine sechsköpfige Reisegruppe aus Journalisten und Fachkräften der Jugendhilfe Kairo und Alexandria, um Informationen zum Thema "Partizipation von Jugendlichen am politischen und sozialen System" zu sammeln. Hier einige der Berichte, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach der Informationsreise veröffentlichten.

 

Partizipation in Ägypten 
von Angelika Reicherter

In einem Land, in dem patriarchale Strukturen das Zusammenleben prägen, ist Partizipation nicht selbstverständlich. Wo doch Gehorsam und Respekt von klein auf trainiert werden. Ägypten steht vor der Herausforderung, eine Veränderung in der Kultur zu bewirken.

„Das ist unsere größte Aufgabe“, so Dr. Abd Elaziz Hegazy, ehemaliger Premierminister unter Anwar El Sadat. Heute ist Dr. Hegazy Professor an der Universität in Kairo. Er erforscht den Einfluss der Nichtregierungsorganisationen (NGO) in Ägypten. 

Der unter dem Druck der USA eingeleitete Reform- und Demokratisierungsprozess hat Auswirkungen auf die NGOs. Seit 2005 können vereinfacht NGOs gegründet und staatliche Mittel beantragt werden. Hegazy steht dieser Entwicklung sehr positiv gegenüber.

Denn über die NGO gelingt es Zugang zu der Bevölkerungsschicht Ägyptens zu bekommen, die im Grunde gar nicht existiert. Denn viele der Ärmsten sind nicht registriert. Über die Anbindung dieser Bevölkerungsschicht an NGOs soll deren Potential gestärkt werden. 

Und man will damit dem größten Problem Ägyptens begegnen, dem hohen Bevölkerungswachstum. Jedes Jahr steigt die Anzahl der Bevölkerung um weitere 1,4 Mio Menschen an. Dr. Sherif Waly, Mitglied der Shura, (Shura stellt das beratende Legislativ Organ des Parlaments dar) legt die Gedanken, die sich das Parlament in Bezug auf das Bevölkerungswachstum macht, dar. 

Eine Geburtenkontrolle, wie sie in China praktiziert wird, komme für Ägypten nicht in Frage. Dies lasse sich mit dem Islam nicht vereinbaren. Tunesien habe gute Erfolge erzielt, in dem sie direkt an die Frauen herangetreten sind, mit der Empfehlung, nicht mehr als zwei Kinder zu bekommen. Das alte Sprichwort in Ägypten: „Geld und Söhne sind dein ganzer Stolz“ braucht eine Neuauflage. Künftig wird es einen Slogan geben: „es ist besser zwei Kinder zu haben, aber dafür gesunde“. Aber ohne die Unterstützung der religiösen Führer wird es Ägypten schwer haben, Einfluss auf das Bevölkerungswachstum zu nehmen, so Waly. Die religiöse Botschaft müsse sich verändern, so wie im Iran, führt Waly weiter aus. Dort konnte über die religiöse Schiene das Bevölkerungswachstum von 5 Prozent auf 2,5 Prozent gesenkt werden.

Als Mitglied der Shura ist Dr. Waly zuständig für die Gesetzesentwürfe, die vom Parlament verabschiedet werden. Um die Partizipationsmöglichkeiten in Ägypten auf wirtschaftlicher Seite zu erhöhen, wurden in den vergangenen Jahren einige Gesetze erlassen. Heute ist es beispielsweise einfach ein Klein- bzw. Kleinstunternehmen zu gründen. Mit 1500-3000 LE (ägyptischen Pfund), das entspricht ungefähr 200-400 Euro, können Existenzgründer unterstützt werden. Allerdings werden die Kredite nicht direkt vergeben. Jeder Kreditnehmer ist einer NGO angegliedert, die die Kleinunternehmer betreut. 

Die NGO ist wiederum verpflichtet, alle drei Monate einen Bericht abzuliefern. So herrscht einerseits zwar viel Kontrolle, andererseits kann der Staat besser auf erforderliche Maßnahmen zur Steuerung reagieren. 

Dr. Abd Elaziz M. Hegazy war während seiner politischen Laufbahn und auch danach immer unabhängig, keiner Partei zugehörig. Auf die Frage, wie das Thema Partizipation umgesetzt wird, antwortet Hegazy: „das Leben ist politisch. Also muss ich jedem einzelnen dazu verhelfen, ein verantwortungsbewusster Bürger zu werden!“

Das Caritas Kinderheim in Alexandria beherbergt Mädchen im Alter von 7-18 Jahren, die aus unterschiedlichen Gründen nicht bei ihren Familien leben können. Im übersichtlich angeordneten Schlafsaal steht jedem Mädchen ein Bett und die Hälfte eines Schrankes zur Verfügung. Alles wirkt sauber und nüchtern und dennoch herrscht eine herzliche Atmosphäre. 

Das Heim gibt den Mädchen einen sicheren Rahmen. Außerdem übernimmt eine Gruppe von Ehrenamtlichen eine Art Patenschaft. Sie gestalten Freizeitaktivitäten mit den Mädchen oder helfen beim Übergang von Schule in den Beruf. Die 14 jährige Abir lebt seit acht Jahren in diesem Heim. Ihre Eltern sind geschieden, ein Fakt, der nur schüchtern, unter vorgehaltener Hand geäußert wird. Scheidung scheint mit großer Scham besetzt. Zu ihrem Vater hat Abir keinen Kontakt. Aber ihre Mutter kann sie jeden Monat einmal sehen. Auf die Frage, wie sie sich ihre Zukunft vorstellt, antwortet Abir vollkommen klar: „ich möchte Pharmazie studieren, um Medikamente gegen AIDS und Krebs zu entwickeln“. Braucht man dafür nicht einen guten Schulabschluss? „Kein Problem“ antwortet Abir, „ich bin sehr gut in der Schule“. 

Abir ist mit Sicherheit ein Beispiel für eine Bürgerin, die Verantwortungsbewusst ins Leben geht, im Sinne einer Partizipation, wie sie Dr. Hegazy gemeint hat.

Der Stadtteil Boulaq in Kairo zählt offiziell 1,2 Mio Einwohner. Wie hoch die tatsächliche Zahl an Einwohnern ist, weiß niemand so richtig. 

Vor einem Jahr hat die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) in Kooperation mit ägyptischen Jugendorganisationen ein einwöchiges Seminar zum Thema Partizipation angeboten. Es gelang, den Gedanken, dass jeder Einzelne sich an der Gestaltung der Gesellschaft beteiligen kann, zu etablieren. Aus der Euphorie haben sich neue NGOs gegründet. Eine davon heißt „New Vision“ und befindet sich im Stadtteil Boulaq. Hinter „New Vision“ steht eine Gruppe junger Menschen, die einen akademischen Abschluss haben. Aber dieser Abschluss hat sie nicht für einen Beruf in der freien Marktwirtschaft qualifiziert, sondern sie auf die Laufbahn eines Beamten vorbereitet. Darauf haben sie aber alle keine Lust. Sie kennen die frustrierende und ermüdende Laufbahn von Beamten von ihren Eltern. Das wollen sie auf keinen Fall. Sie möchten Kreativität, Innovation und Vernetzung mit der ganzen Welt. Und sie möchten gestalten dürfen. Ganz praktisch haben sie die Menschen im Viertel Boulaq motiviert, die Straßen zu reinigen, die Häuserfassaden bunter zu gestalten. Und sie haben viel Überzeugungsarbeit geleistet. Überzeugung dahingehend, dass es Sinn macht, sich ehrenamtlich zu engagieren, die Lethargie zu verlassen und sich in der Gemeinschaft zu beteiligen.

Kahled, 31 Jahre alt, gehört mit zu den Aktiven von „New Vision“. Er sagt: „Sozialarbeit ist nichts Neues. Das hat es schon immer gegeben. Aber wir haben eine neue Vision. Wir möchten, dass die Menschen aus dem Viertel sich wieder mit dem Viertel identifizieren, dass sie Verantwortung für das Geschehen übernehmen, dass die Straßen wieder sauber werden und die Häuser eine freundliche Fassade bekommen. Wir möchten, dass die Menschen, indem sie sich wieder an der Gemeinschaft beteiligen, Respekt vor sich selbst bekommen, in dem sie erleben, dass jeder Einzelne etwas zur Gemeinschaft beitragen kann.

Angefangen hat unsere Arbeit damit“, erzählt Khaled weiter, „dass wir den Menschen im Viertel erstmal zugehört haben, was ihre Probleme sind. Und wenn es uns gelang, von den zehn erzählten Problemen, eins zu lösen, dann hatten wir ihr Vertrauen gewonnen. Und diese Menschen waren dann auch bereit ehrenamtlich mit uns mitzuarbeiten.“

Das Schulsystem Ägyptens bereitet die nachfolgenden Generationen nicht wirklich auf den Arbeitsmarkt vor. So versucht „New Vision“ und diverse andere neue NGOs die Kluft durch Qualifizierungsmaßnahmen zu schließen. Vor allem Computerkurse werden angeboten. Und „New Vision“ präsentiert sich selbst über eine Internetseite und für ausländische Delegationen führt eine Power Point Präsentation die Arbeit vor Augen.

Die 24 jährige Rasha berichtet, dass sie das Gefühl hatte, es gäbe keine Arbeitsplätze. Aber es stellte sich heraus, dass es durchaus viele Arbeitsplätze für Hochschulabsolventen gab, nur passe der Abschluss nicht zum dem, was auf dem Markt gefragt ist. Also haben sie von „New Vision“ versucht darauf zu reagieren. 

Wichtig war dabei, die Eltern mit ins Boot zu holen, ihnen klar zu machen, dass die berufliche Laufbahn in Ägypten nicht mehr nur allein aus einem Beamtenleben bestehen müsse. Die Meinung der Eltern spiele in Ägypten eine große Rolle. Ohne den Segen der Eltern dürfe man nicht ins Leben gehen. Und so veranstalten sie bei „New Vision“ regelmäßig Abende, wo sie die Eltern über ihre Aktivitäten aufklären, ihnen die Angst vor Veränderung nehmen.

Die Qualifizierungsmaßnahmen finden direkt in Kooperation mit ägyptischen Firmen statt. Vor allem Buchhaltung, Sprach- und Computerkurse werden angeboten. Was bei den jungen Erwachsenen auffällt, ist ihre Begeisterung und ihr Glaube, dass sie etwas verändern können, dass sie tatsächlich an der Gesellschaft Ägyptens mitgestalten können. Da bleibt nur noch, ihnen viel Erfolg zu wünschen.

Der Wandel beginnt im Kopf - Besuch bei der GTZ Kairo
von Wiebke Bretting

Amr Lashin ist in Fahrt gekommen, er fliegt geradezu durch die PowerPoint Präsentation, sagt Sätze wie „we need to change the structure of responsibilities with regards to investments, outputs and management“ und lässt sich auch von seinem dauerklingelnden Handy nicht unterbrechen. Ich gebe mir Mühe, ihm zu folgen, aber die Aneinanderreihung halb-leerer Sprechblasen und die auf Sibirien eingestellte Klimaanlage machen es mir schwer, beim Thema zu bleiben. 

Dabei geht es hier um nicht weniger als die Neustrukturierung einer Gesellschaft. Amr Lashin ist Area Coordinator beim „Participatory Development Programme in Urban Areas“ (PDP) der GTZ in Kairo, Ägypten. Das Projekt soll die Mitbestimmung und Eigenverantwortung der Bevölkerung stärken. Seit gut einer Stunde berichtet er uns – einer Gruppe deutscher Journalisten – von den Problemen und Erfolgen seiner Arbeit. Sein Einsatzgebiet ist Boulaq el Dakrour, einer der ärmsten Stadtteile Kairos. Über eine Million Menschen leben hier auf engstem Raum. Die meisten Gebäude wurden illegal errichtet und es fehlt an fast allem: Infrastruktur, Arbeit, Platz.

Bislang wurde und wird in Ägypten alles von oben herab entschieden. Staatliche Stellen entscheiden wie die Brotzuteilung verläuft, wo ein Jugendzentrum entsteht und welche Straßen geteert werden. Die Betroffenen – also die Bewohner des Viertels – haben weder ein Mitspracherecht noch Einsicht in die Entscheidungsprozesse. Dabei sind sie es, die am besten wissen, was sie brauchen, um ihr Leben zu verbessern. Zumindest sollte man das meinen.

Eins der ersten Projekte, das im Rahmen des PDP durchgeführt wurde, war der Bau einer Halle für den Wochenmarkt. Mitarbeiter des PDP führten Umfragen unter der Bevölkerung durch, was sie für Wünsche bezüglich der neuen Stände hätten. Das Ergebnis: Die meisten Einwohner wussten es nicht. Sie waren es gewohnt, dass der Staat für sie entschied und hatten es sich schlicht abgewöhnt, eine eigene Meinung zu solchen Dingen zu entwickeln. Es dauerte einige Zeit bis Amr Lashin und seine Mitarbeiter die Bewohner des Boulaq el Dakrour Distrikts von den Vorteilen der Mitbestimmung überzeugt hatten und sie begannen, erste Ideen und Wünsche zu formulieren. Der Erfolg des PDP ist jedoch eindeutig – überall wo die Leute begannen, sich Gedanken zu machen, wie ihre Umgebung aussehen sollte, dort waren sie auch bereit, sich für die Umsetzung der Pläne stark zu machen.

Nach dem Vortrag bittet uns Lashin vom eisgekühlten Konferenzraum hinaus in die mittagliche Hitze. Er möchte uns einige Projekte des PDP persönlich zeigen. Zunächst geht es zu einem nahe gelegenem Jugendzentrum, dessen Leiter uns auch schon voller Stolz erwartet. Hier werden Kurse für die ganze Familie angeboten: Kinder können Sportunterricht wählen, Mütter lesen und schreiben lernen und der Vater erhält eine Computer-Fortbildung. Ob der Unterricht kostenlos sei? Ja, ja, natürlich. Wie die Lehrer der Kurse bezahlt werden? Aus den Programmbeiträgen der Kursteilnehmer. Aber die Kurse seien doch kostenlos? Na ja, so ganz kostenlose wären sie nicht, aber für den Unterricht müssten die Schüler im Schnitt nur 3 Pfund zahlen, das sei nicht mal ein Euro, also doch wirklich nicht der Rede wert. Ich erinnere mich an einen Bericht im „Weltspiegel“ über Boulaq, dort hatte sich eine Hausfrau beschwert, dass der Preis für ein Kilo Reis bei 3 Pfund, für Nudeln sogar bei 5 Pfund liege und sie sich das nicht mehr leisten könnten.

Nach kurzem Aufenthalt im Jugendzentrum fahren wir zu einer Baustelle, hier soll ein weiteres Zentrum entstehen. Das Gebäude wirkt eher wie ein vornehmes Wohnhaus, als wie eine öffentliche Einrichtung. Es wird gefragt, ob man nicht ein einfacheres Haus hätte bauen können beziehungsweise ein altes restaurieren, statt soviel Geld auf einen Neubau zu verwenden. Lashin zuckt mit den Schultern, Politiker würden sich halt lieber vor prächtigen Großprojekten inszenieren, statt altes zu verbessern. Er hat keine Illusionen darüber, was er hier auf kurze Sicht erreichen kann; aber er hat auch Hoffnung für die Zukunft. 

Worauf er diese Hoffnung baut, wird deutlich bei der letzten Station unseres Besuchs: einer frisch gegründeten Jugendorganisation von jugendlichem aus dem Viertel. Sie haben ebenfalls eine PowerPoint Präsentation für uns vorbereitet und geben sich Mühe möglichst professionell zu wirken. Zwar gelingt dies nicht immer ganz, aber schnell wird klar, dass sie es ernst meinen mit ihrem Wunsch, anderen zu helfen. Sie alle stammen aus der Gegend und wissen, dass sie Glück hatten, eine gute Ausbildung zu erhalten. Nun wollen sie, dass auch andere von diesem Glück profitieren. 

Mit Hilfe der GTZ hatten die Jugendlichen verschiedene Fortbildungen besucht, bevor sie sich entschlossen, ihre eigene Organisation zu gründen. Vom Umweltschutz über Weiterbildung bis zur Jobvermittlung wollen sich die Jugendlichen aller Probleme ihres Viertels annehmen. Sie sind unglaublich ambitioniert, aber ich ertappe mich bei der Frage, ob sie mit ihrem Idealismus nicht ein wenig naiv sind, aber wer wenn nicht sie, soll hier etwas verändern?

Man kann Projekte wie die des PDP belächeln, als Tropfen auf den heißen Stein abtun. Aber man kann nicht umhin, den Einsatz zu bewundern, den diese Jugendlichen, den Amr Lashin zeigt, um hier etwas zu verändern. Sie haben bereits etwas bewegt: in den Köpfen der Leute. Vielleicht wirkt es ja nach und von nun an werden die Bewohner von Boulaq el Dakrour mehr Mitbestimmung einfordern und auch selber mehr Engagement zeigen, im Kleinen wie im Großen. Vielleicht ist es auch nicht so einfach, alte Strukturen zu überkommen, reale wie gedachte. Vielleicht ändern sich manche Dinge auch nie. Vielleicht. Nachdenklich fahren wir nachhause.

Partizipation und NGOs in Ägypten
Radiobeitrag für die Deutsche Welle von Klaus Jansen

Ägypten hat in den vergangenen Jahrzehnten einiges ausprobiert: Mal wurde die Politik an den Sozialismus angelehnt, dann wieder waren kapitalistische Modelle Vorbild für die Führungs-Riege. Für die Bevölkerung hat sich in dieser Zeit nicht viel geändert: Immer noch gibt es einen Großteil armer Menschen im Land, eine kleine, reiche Schicht, und einen bröckelnden Mittelstand. Wie gehen gerade junge Ägypter mit dieser Situation um? Und was können sie tun, um diese Situation selbst zu verbessern? Klaus Jansen hat sich in Ägypten umgehört.

Schreiende und spielende Kinder wohin man auch blickt: Das Jugend-Zentrum am Stadt-Strand von Alexandria ist brechend voll. Nach Sonnenuntergang ist es etwas kühler geworden, und das Spielen fällt jetzt leichter. 

In ganz Ägypten gibt es diese Art von Kinder- und Jugend-Zentren, mal werden sie vom Staat geführt, mal von einer Nicht-Staatlichen Organisation, von NGOs. Die Ausrichtung dieser Zentren wird aber immer vom Staat bestimmt. Der ehemalige ägyptische Vize-Präsident Abd el Aziz Hegazy ist mittlerweile für die Koordination von NGOs im Land zuständig, und er stellt eindeutige Forderungen:

„Du musst an dein eigenes Land glauben, du musst fühlen, dass du ein Teil dieses Landes bist, und du musst auch etwas zurückgeben. Nicht immer nur nach Hilfe fragen. Das versuchen wir, in den Strukturen der NGOs zu verankern. Ich brauche Geld für Trainings-Kurse, sagst du. Ok, wir geben dir Geld, aber was machst du damit in deiner NGO? Wir brauchen Ergebnisse, wir brauchen Produkte, guten Service, weniger Analphabeten. Wir haben Ressourcen, aber diese Ressourcen werden schlecht gemanagt.“

Ein Beispiel für schlechtes Management steht mitten in einem Kairoer Armenviertel. Zwischen Eselskarren, Straßendreck und illegal gebauten Wohnblocks liegt eine kleine, grüne Oase. Der Staat baut dort gerade ein neues Jugendzentrum. In Massiv-Bauweise, mit Marmorböden und edlen Wand-Verkleidungen. Was das soll, das versteht auch Eng Amr Lashin von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit - GTZ - nicht. Er hatte beim Nationalen Jugend-Rat für ein angemessenes Gebäude geworben: 

„Anstelle eines schicken Raumes, der eine Million Ägyptische Pfund kostet, kann man auch einen schicken Raum haben, der nur 100.000 Ägyptische Pfund kostet, und den Rest des Geldes kann man dann für vernünftige Aktivitäten verwenden. Aber diese Zentren sind so luxuriös wie möglich gestaltet, damit sie überall rein passen. Es braucht aber einige Veränderungen, um lokal auch passend zu sein. Nicht alles Geld sollte dabei für die Bausubstanz verschwendet werden.“

Die GTZ, für die Eng Amr Lashin arbeitet, ist eine der größten Organisationen im Lande, die sich für Partizipation einsetzt. Die Idee, sich selbst am Aufbau des Landes zu beteiligen, ist allerdings neu in Ägypten. Nach dem jahrzehnte langen Miss-Managements des Staates seien die Menschen jetzt auf diese lokale Beteiligung angewiesen, nur wüssten das viele noch nicht, meint Eng Amr Lashin. 

„Können sie sich vorstellen dass es tausende von Jahren keine Partizipation in Ägypten gegeben hat? Jeder hat sich einfach nur um seine eigene Arbeit gekümmert. Jetzt müssen wir die Kultur ändern, und die neuen Ideen einführen, mit möglichst einfachen Worten. Auch die politische Kultur ändert sich jetzt. Während der Wahlen hat der Präsident gesagt, Partizipation ist legal.“

Mit diesem „Segen von ganz oben“, der in Ägypten immer besonders wichtig ist, sind jetzt vor allem die Jugendlichen aufgerufen, in ihrer eigenen Nachbarschaft den Unterschied zu machen. Und die Probleme, die es anzugehen gilt, sind mannigfaltig: Die Arbeitslosigkeit gerade junger Ägypter, die schlechte Bildung mit der immer noch hohen Analphabeten-Rate, die fehlende Infra-Struktur, die Korruption und die Über-Bevölkerung. Geschätzte 20.000 NGOs gibt es bereits in Ägypten, trotz viel Bürokratie vom Staat, der die Organisationen genau kontrollieren will. Wie erfolgreich die NGOs jetzt schon sind, sei aber noch unbekannt, meint der ehemalige Vize-Präsident Abd el Aziz Hegazy:

„Die Zahlen die wir jetzt haben sagen noch nichts aus, wir versuchen, eine Struktur im ganzen Land aufzubauen, die es dem Ministerium, unserer Abteilung und den Statistikern erlaubt, per Computer miteinander zu kommunizieren. Dadurch soll dann schließlich erkannt werden, welchen Nutzen die NGOs im Land haben.“

Ganz ohne die unterstützenden Organisationen, die teilweise auch aus dem Ausland ihre Gelder beziehen, sähe es in Ägypten heute aber vermutlich anders aus. Politisches Engagement und ehrenamtliche Hilfe in der eigenen Nachbarschaft werden immer wichtiger im Land. Was das für die politischen Machthaber bedeuten wird, bleibt abzuwarten

Partizipation von Jugendlichen am politischen und sozialen System Ägyptens
von Matthias Kirchner

In einem Land wie Ägypten sind Jugendarbeit und Jugendhilfe keine selbstverständlichen Aufgaben, für die der Staat verantwortlich ist. Sicherlich wird auch hier durch die Regierung versucht mit entsprechenden Maßnahmen für die sehr junge Bevölkerung des Landes Zukunftsperspektiven zu schaffen. Jedoch hat ein Land, welches vorrangig den Ausbau einer guten Infrastruktur oder die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichenden Lebensmitteln bei eine ständig steigenden Bevölkerungsanzahl zur Aufgabe hat, oftmals keinen ausreichenden Focus auf andere Probleme.

Somit haben es sich andere Vereinigungen zur Aufgabe gemacht hier einzugreifen und dort zu helfen wo es kaum kein anderer tut. So genannte nichtstaatliche Organisationen (NGOs) versuchen genau dies zu erreichen. Die „General Egyptian Association for Child Protection“ ist eine solche Vereinigung. Diese wurde 1987 gegründet und realisiert seitdem viele verschiedene Projekte zur Hilfe und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen. 

Bisher besteht diese Organisation aus 86 Mitgliedern und 230 Beschäftigten. Eine der Hauptaufgaben ist die Unterstützung von rd. 300 Familien sowie Witwen und Geschiedenen. Zudem geht es um die Bereitstellung von Medikamenten oder das Übernehmen von Gebühren für Operationen. Eine weitere Hilfe wird durch Kinderheime gegeben. In Alexandria gibt es insgesamt fünf welche jungen Mädchen ein zu Hause geben. Vorerst wird versucht Probleme zwischen den Eltern zu lösen unabhängig davon, ob die Kinder schon in dem Heim sind oder nicht. Wenn dies nicht gelingt kommen die Mädchen in diese Caritas Einrichtung. Die Altersgruppen hier sind so unterschiedlich, wie sie nur sein könnten, von kleinen Babys bis hin zu heranwachsenden Frauen, leben hier 20 verschiedene Mädchen. 

Dass diese Unterschiedlichkeit auch verschiedene Probleme mit sich bringt ist klar. Aber die Verantwortlichen versuchen auf die Bedürfnisse der einzelnen Mädchen einzugehen, was ohne die vielen Freiwilligen gar nicht möglich wäre. Genau das ist auch ein Punkt der sehr verstärkt die Sozialarbeit in Ägypten prägt. Es ist ganz stark zu spüren, dass die Menschen etwas verändern wollen und ihnen immer deutlicher bewusst wird, dass dies auch dringend notwendig ist. Selbst ein Professor der Universität in Alexandria fühlt sich mitverantwortlich. Nach einem anstrengenden Tag in der Uni will er noch etwas für die Kinder tun. 

Ein Gedanke, der in Deutschland kaum vorstellbar wäre aber hier jedoch, eine immer verstärkt vorkommende und wichtige Situation ist. Zusammen versuchen die Betreuer den Kindern die Grundgedanken eines demokratischen und sozialen Systems zu vermitteln, die es braucht, um ein eigenständiges und unabhängiges Leben führen zu können. Doch bevor die Kinder, die aus problematischen Familienverhältnissen kommen aus eigenem Antrieb etwas erreichen wollen, ist oftmals viel Arbeit notwendig. Vorrangig geht es darum, eine Identifikation mit der eigenen Herkunft und der eigenen Kultur zu schaffen, damit die Kinder und Jugendlichen auch die Notwendigkeit von Bildung und Eigenengagement verstehen. Dies wird in dem Kinderheim durch Museumsbesuche und verschiedene Projekte realisiert. Weiterhin wird versucht, die Kinder ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechend zu fördern und ihnen bereits schon in jungen Jahren deutlich zu machen, dass Bildung sehr wichtig ist ohne diese kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt bestehen. 

Aus diesem Antrieb heraus versuchen die vielen Freiwilligen auch, Jugendliche direkt auf der Straße anzusprechen und ihnen bei Problemen zu helfen, die, wie so oft, im Elternhaus ihren Anfang nehmen. Jedoch ist es oft sehr schwer, direkt an die Eltern heranzutreten. Jedoch konnte bereits oft mit den richtigen Worten und viel Ausdauer gezeigt werden, was alles verändert werden kann und wie positiv sich die Hilfe von Sozialarbeitern auf die gesamte familiäre Situation auswirken kann. So zeigen viele Projekte von „General Egyptian Association for Child Protection“ den Erfolg und die Wichtigkeit solcher Einrichtungen. Ein wichtiges Beispiel ist zu einem die Bereitstellung von Mahlzeiten für ganze Familien. Diese können gegen geringe Gebühren ein ausgewogenes und abwechslungsreiches Essen bekommen. Gerade in der aktuellen Problematik der immer weiter steigenden Nahrungsmittelpreise, werden solche Projekte immer wichtiger.

 

Selbst die First Lady Mrs. Suzanne Mubarak unterstützt diese Einrichtungen in Alexandria. Verschiedenste Benefizveranstaltungen oder Projekte konnten erst durch ihre finanzielle Hilfe realisiert werden. Auch die damit verbundene öffentliche Aufmerksamkeit ist enorm wichtig, wenn es darum geht Sponsoren oder weitere Freiwillige zu gewinnen. Durch ein solches Engagement konnte die „Mobile Kinderbücherei“ erst umgesetzt werden. Bereits seit 1990 besteht diese und ermöglicht den Kindern den Zugang zu Literatur und damit zu der so enorm wichtigen Bildung. An öffentlichen Plätzen wie Parks, Schulen oder Jugendclubs ist der kleine Bus, der die Bücher zu den Kindern bringt immer wieder anzutreffen.

Jugendclubs sind ein sehr wichtiger Punkt, wenn es darum geht mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt zu treten und sich mit ihnen auseinander zusetzen. Natürlich kann in solchen Jugendeinrichtungen nicht auf jeden Einzelnen eingegangen werden, jedoch wird hier eine viel größere Gruppe von Menschen erreicht. Allein in Alexandria sind es rd. 21.000 Kinder und Jugendliche ab sechs Jahren. Diese besuchen regelmäßig Jugendclubs und nehmen so am gesellschaftlichen Leben teil. Denn oft gibt es Clubs mit speziellen Angeboten zu Kultur und Sport. Auch Computerkurse werden hier gegeben. Wenn sich dann im Umgang mit den Kindern verschiedene Begabungen und Interessen zeigen, gehen die Verantwortlichen direkt darauf ein, um diese dann auch gezielt zu fördern. In einer eigenen kleinen Werkstatt einer solchen Einrichtung haben die Jugendlichen schon richtige Kunstwerke geschaffen, die sie stolz zeigen. Über selbst gebaute mobile Klimaanlagen und kleine Zimmerbrunnen bis hin zu verschiedensten Malereien ist alles dabei.

Neben Jugendeinrichtungen, die über Spaß und dem fördern von Fähigkeiten versuchen an die Jugendlichen heranzukommen gibt es auch NGOs, welche ihren Aufgaben bereich auf andere Probleme gelegt haben. Eine von ihnen ist die Vereinigung „New Vision“ hinter der eine Gruppe von 23 jungen Menschen steht, die etwas verändern wollen. Nach ihrem Studium im sozialen Bereich, haben sie keine Lust, wie so viele, ein Beamtenleben zu führen. Sie haben eine Vorstellung und ein Ziel vor Augen und wollen dies zum Wohle der Bevölkerung umsetzten. Doch kommt man an eine Gesellschaft heran, die oft schon keine Perspektiven mehr sieht?

 

Die Mitglieder von „New Vision“ sind hierfür einen ganz direkten und menschlichen Weg gegangen. Es wurde zuerst versucht das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, indem ihnen einfach zugehört und versucht wurde ihnen bei ihren Problemen zu helfen. Als dieser erste und wichtige Schritt getan war, konnten die Einwohner dazu bewegt werden, ihr eigenes Viertel zu verbessern. Straßen wurden gesäubert und Wohnungen renoviert. Somit konnte nach und nach immer mehr in dem Stadtteil Boulaq verbessert und verändert werden. Die Menschen selbst haben so selber erlebt, dass jeder Einzelne von ihnen etwas bewegen und zum Wohl der Gemeinschaft beitragen kann.

Ägyptische Menschenrechtler und das Internetradio 
von Sarah Mersch für DW-World

Unabhängige Informationen und Jugendthemen suchten sie in der ägyptischen Presse oft vergeblich. Deshalb haben junge Journalisten einen eigenen Radiosender gegründet. Jetzt feierten sie ihren ersten Geburtstag.

"Sprich nicht über den Präsidenten und nicht über die Armee. Alles andere ist in Ordnung." Mohamed Ezz Aldin geht pragmatisch an die Sache ran. Der Moderator und Online-Redakteur von "Horytna" kennt die Themen, die in Ägypten regelmäßig für Ärger mit der Zensur sorgen. Außer wenn sie über Präsident Hosni Mubarak reden, nehmen die rund 20 Journalisten bei Radio Horytna aber kein Blatt vor den Mund. Denn sie haben ihr Radio nicht umsonst "Horytna" genannt, zu Deutsch "unsere Freiheit". 

Um diese Freiheit unter Beweis zu stellen suchen sie immer wieder brisan-te Themen aus, die in den offiziellen, regierungsnahen Medien nicht diskutiert werden. Sie berichten engagiert über verhaftete Blogger, über Demonstration-en, die in den regierungsnahen Medien nicht vorkommen, über mangelnde Rechte für Frauen und über Arbeits-losigkeit. Und sie appellieren an ihre Hörer, selbst aktiv zu werden. Zuletzt forderte Horytna sie auf, an den Kommunalwahlen Anfang April teilzunehmen, um die oft politikverdrossenen Jugendlichen davon zu überzeugen, dass ihre Stimme auch im autokratischen System Mubaraks eine Bedeutung hat. 

Würden sie aber immer nur ernst und engagiert über Menschenrechte sprechen, dann würden ihnen viel weniger Menschen zuhören, glaubt Mohamed Ezz Aldin. "Wir müssen ein Gleichgewicht finden zwischen ernsten Themen und Unterhaltung." Und so geht es in seiner Wochenend-Sendung auch um Filme, Musik und die Welt der ägyptischen Stars und Sternchen.

Dass die Person Hosni Mubarak tabu ist, sei eine bewusste Entscheidung und zugleich Überlebensstrategie des Senders, sagt Manager Ahmed Samih. Horytna versuche ein Bewusstsein für Menschenrechtsthemen schaffen. Blind auf die Regierungspolitik einzuprügeln bringe da wenig. "Wir wollen weiterhin unsere Botschaft vermitteln und nicht hingehen und schreien und am Ende des Tages kommt die Botschaft nicht an. Ich versuche, weise zu sein", sagt Samih lachend.

Der Erfolg gibt der Redaktion Recht. Seit der Gründung 2007 sendet Horytna 24 Stunden am Tag und hat 3500 Hörer gewonnen. Das Radio feiert seinen Erfolg in einer Zeit, in der das Internet in Ägypten gerade für junge Menschen immer mehr an Bedeutung gewinnt. Und so setzt auch der Sender auf Youtube, Blogs, Facebook und Co. um mit seinen Hörern zu kommunizieren. Auf traditionellem Weg sind die kaum zu erreichen, auch weil sie in vielen ägyptischen Medien oft nicht mehr finden als offizielle Verlautbarungen. Journalistische Ethik und Inhalt blieben dabei oft auf der Stecke, beklagt sich Ahmed Samih. "Meine Generation will keine Vorträge hören und vertraut Politikern nicht." 

 Die jungen Leute sind in  Aufbruchsstimmung, nicht nur bei  Horytna. Im Internet werden Themen  offen diskutiert für die es früher kaum  eine Plattform gab. So formierte sich im  Netzwerk "Facebook" eine Gruppe, die  zum Generalstreik am 6. April aufrief.  Innerhalb weniger Tage wurden mehr als  70.000 Nutzer Mitglied. Der zweite  Streik am 80. Geburtstag des  Präsidenten Mubarak war weniger  erfolgreich. Doch Ahmed Samih ist  sicher, dass in Ägypten gerade etwas ganz Neues entsteht. Was hier passiere, sei das 1968 Ägyptens. Eine ganze Generation kämpfe um ihren Platz in der Gesellschaft. "In der ganzen politischen Geschichte Ägyptens haben wir noch nie so eine Bewegung gesehen." 

Die Macher von Horytna sitzen in einer großen Altbauwohnung in Kairo. Eines der Zimmer haben sie umgebaut und gegen Lärm isoliert, so dass sie es als Studio nutzen können. Finanziell unterstützt wird Horytna zurzeit von der niederländischen Organisation "Press Now", doch der Sender steht finanziell nach wie vor auf wackligen Beinen. Denn noch reichen die Einnahmen aus Spenden und Werbebannern nicht aus, um das Überleben des Senders zu sichern. Ahmed Samih träumt trotzdem davon, mit Horytna eines Tages in der ganzen arabischen Welt vertreten zu sein. 

Doch alle bei Horytna fürchten, dass die ägyptische Regierung früher oder später den Zugang zu Facebook, Bloggersoftware und anderen Seiten sperrt und die Arbeit des Senders einschränkt. Doch aufhalten lassen werde man sich davon nicht, bekräftigt Moderator Mohamed Ezz Aldin und zitiert den spanisch-arabischen Philosophen Averroes. "Gedanken haben Flügel. Keiner kann sie davon abhalten zu fliegen."

DJI startet Kooperation
von Dr. Wolfgang Gaiser für das DJI Bulletin

Auf Einladung des PNJ (Pressenetzwerk für Jugendthemen) beteiligte sich W.Gaiser an der Studienreise “Partizipation von Jugendlichen am politischen und sozialen System Ägyptens”. Der weit gespannte Rahmen des Programms reichte von Gesprächen mit dem Jugendminister, dem ehemaligen Premierminister, der sich inzwischen für die Koordination von NGO- Aktivitäten engagiert, Pfadfinderprojekte ( die sich für Abwasserprobleme auf den Lande und weltweite Jugendbegegnungen einsetzen) über Stadteilprojekte der GTZ bis zu quartiersbezogener Mädchenarbeit. 

Für die weitere wissenschaftliche und politikrelevante Kooperation mit dem DJI stellt der Austausch mit Herausgebern der in der politikwissenschaftlichen arabischen Welt renommierten Zeitschrift “Democracy” einen Beginn dar. „Demokracy“ erscheint vierteljährlich seit 2001 und wird von der Al-Ahram-Stiftung herausgegeben. Die Zeitschrift widmet sich der Erforschung der Evolution und Transformation von demokratischen politischen Systemen weltweit, sowohl in historischen als auch in zeitgenössischen Kontexten. Das Themenspektrum ist breit: politischen Kultur, Wahlen, öffentliche Ordnung, Wahrung der Menschenrechte und der öffentlichen Meinung. Im Mittelpunkt des Diskurses in dieser Zeitschrift steht die Entwicklung der demokratischen Institutionen, Verfahren und Werte in der arabischen und muslimischen Welt. Hierzu wird auch Bezug genommen auf Diskussionen zu politischen Entwicklungen in anderen Regionen. Deshalb bietet die Zeitschrift Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt und ein Forum für einen offenen Austausch.

Von der Arbeitsgruppe Jugendsurvey des DJI wurde ein Artikel zur Entwicklung der politischen Kulturen der Jugend in beiden Teilen Deutschlands seit der Wiedervereinigung eingereicht. Hierfür wurde vom deputy managing editor Azmi Ashour Interesse signalisiert, weil die politische Entwicklung in Ägypten auch durch Systembrüche(Königtum - Sozialistisches Modell - Marktliberalismus mit staatlichen Lenkungselementen) gekennzeichnet ist.

 

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Im Rahmen des Austauschprogramms mit ägyptischen Journalisten und Fachkräften der Jugendhilfe im Mai 2007 schrieb Herr Kamal Amer von der Tageszeitung Ros el Youssef, mehrere Artikel über seine Erfahrungen in Deutschland. Wir veröffentlichen einige Ausschnitte in deutscher Übersetzung aus den verschiedenen Berichten, die er abends, nach anstrengenden Programmtagen an seine Redaktion faxte.

Hundertzweiundsechzig Stunden in drei deutschen Städten zur Erkundung der deutschen Bearbeitung von Jugendthemen

Der Einladung des deutschen Pressenetzwerks folgend reisten wir nach Deutschland, um die Lebenswirklichkeit der deutschen Jugend kennen zu lernen. Zweifellos ist ein großer Fortschritt in der Entwicklung des Landes zu beobachten, das in wirtschaftlicher Hinsicht die drittgrößte Position in der Welt einnimmt.

 

Die Reise war anstrengend. Wir legten ca. 25 km zu Fuß zusätzlich zu den Strecken zurück, für die wir Bahn, Bus und Flugzeug nutzten. Wir begegneten mehr als 128 Personen aus verschiedenen Bereichen - einfache Leute gehörten ebenso dazu wie hohe Politiker. Ich erlebte Regenschauer, wie noch nie zuvor in meinem ganzen Leben.

 

Der Geschäftsführer des Austauschprogramms, Herr Jörg Wild erklärte uns das Programm. Auch informierte er uns über die Probleme der Jugend und darüber, was zu deren Lösung getan wird.

In Berlin ist das Leben ganz anders als bei meinem ersten Besuch vor der Wiedervereinigung. Die Mauer existiert nicht mehr, an ihrer Stelle findet sicht lediglich eine Markierung in der Straße.

Am Abend des ersten Tages unserer Reise, als wir uns in einem italienischen Restaurant befanden, beobachtete ich durch das Fenster eine Menschenmasse. Mir wurde erklärt, dass es sich um eine Demonstration gegen den G-8-Gipfel handle. Sofort verließen wir das Restaurant, um das Geschehen aus der Nähe zu verfolgen. Die Demonstration verlief friedlich und zivilisiert, ohne jegliche Gewaltanwendung. Vielmehr hörten wir musikalische Einlagen, die teilweise von Musikgruppen produziert wurden.

 

Am Tag danach erreichten wir nach einem Fußweg durch einen Wald am Stadtrand von Berlin ein Erholungs- und Freizeitzentrum für Kinder, Jugendliche und Familien. Wie von Frau Marion Gusella, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit, zu erfahren war, erstreckt sich die Einrichtung auf eine Fläche von 13000 qm. Auf ihr befindet sich ein Gebäude aus 2000 qm, bestehend aus zwei Etagen. Dort sah ich eine Gruppe von Schülern, die verschiedenen Freizeitaktivitäten nachgingen. Ferner konnte ein Theaterhaus, darüber hinaus eine Bibliothek besichtigt werden.

 

Auf der zweiten Etage war ein Modell für eine Raumfahrt, ähnlich der NASA in Amerika, zu Lernzwecken zu bewundern. Daneben waren mehrere kleine Räume, die in Form eines Labyrinths angeordnet waren. Jeder dieser Räume widmete sich einer bestimmten Problemstellung. Kinder, Jugendliche und Familien lernen hier neue Dinge für ihr Alltagsleben, z.B. die Geschichte des Geldes oder den Wert der Familie.


Des Weiteren trafen wir Jugendliche in einem Jugendzentrum in Berlin. Wir sprachen mit ihnen über ihre Probleme und Konflikte. Dieses Zentrum bietet auch Programme für Familien, die aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage sind, mit ihren Kindern Urlaub zu machen.

In einem anderen Artikel schreibt Kamal Amer, dass trotz des großen finanziellen Aufwands der Wiedervereinigung das deutsche Volk glücklich darüber ist. Er berichtet:

 

Die staatlichen Einrichtungen sind um die Zufriedenstellung der Bürger bemüht. So versucht man, Programme für Jugendliche zu entwickeln, um sie gegen die Gefahren der Straße wie etwa Rauschgift zu schützen und für sie Möglichkeiten zur Berufsausbildung zu schaffen. In diesem Zusammenhang sind die Worte von Frau Fussan von der Abteilung Jugend des Berliner Senats zu erwähnen. Sie berichtet, dass die Stadt Berlin einen großen Haushalt für Jugendangelegenheiten bereitstellt. Weiter ist zu erfahren, dass es neben gemischten auch nach Geschlechtern getrennte Einrichtungen gibt. Alle Parteiverbände seien aktiv an Jugendarbeit beteiligt. Dabei seien parteipolitische Einflüsse untersagt.

 

Kindern werde das Recht auf einen Kindergartenplatz zuerkannt. Wie überall auf der Welt gebe es unter deutschen Jugendlichen auch solche mit geringerem Selbstvertrauen und frühem Schulabgang, die oft mit dem Problem der Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben. Unter den Jugendlichen mit ausländischer Herkunft herrschen Probleme der Integration. Neben Türken und Arabern seien sogar deutschstämmige Aussiedler davon betroffen.

 

Frau Fussan fügte hinzu, dass jede Form von Zusammenarbeit und Austausch mit anderen Ländern begrüßt wird. Die ägyptische Seite könne mit ihnen in Kontakt treten, um neue Programme zu erarbeiten. Frau Fussan zeigte sich sehr interessiert an der Jugendarbeit in Ägypten. Sie war erstaunt darüber, dass in Ägypten 4248 Jugendzentren mit nur geringem Finanzetat existieren.

 

Kamal Amer widmet sich in einem weiteren Artikel mit dem Titel „Schnappschuss“ verschiedenen anderen Aspekten des Informationsprogramms, darunter dem System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks:

 

Unter den Mitarbeitern des Rundfunksenders einslive in Köln überwiegen junge Menschen. So erklärte uns Herr Maurice Gully, wie diese und ähnliche Rundfunksendungen funktionieren und finanziert werden. Der Staat bekommt von jedem, der über Radio und Fernsehen verfügt, monatlich 17 Euro. Gesendet wird alles, was die Jugend interessiert. Sogar Live-Konzerte von bekannten Sängern. Auch gibt es bei einslive eine Internetabteilung, die für Kontakte mit Jugendlichen zur Verfügung steht.

Übersetzung: Dr. Mohammed Rashed

 

Im November 2006 führte eine Informationsreise des PNJ nach Kairo und Alexandria. Die Reise wurde durch den Kinder- und Jugendplan des Bundes mit finanziert.
Nachfolgend einige Berichte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Besuch bei den Pfadfindern in Kairo
Von Marius Meyer

 

Ich sitze in einem Kleinbus und bin auf Kairos staubigen, zweistöckigen Straßen unterwegs. Das Ziel ist ein Treffen mit ranghohen Pfadfindern der ägyptischen Pfadfinderverbände. Ich, selbst seit über zwanzig Jahren Pfadfinder, bin mit einer Gruppe deutscher Journalisten unterwegs. Das „Pressenetzwerk für Jugendthemen“ hat zusammen mit dem ägyptischen Jugendministerium die Reise organisiert. Eigentlich sollte ich mir spätestens jetzt in dem rumpelnden Bulli ein paar intelligente Fragen einfallen lassen, die ich den „Kaschaf“ zu ihren Projekten und ihrer Arbeit stellen könnte. Doch es fällt mir nichts Vernünftiges ein. Nur eine Frage schwirrt durch meinen Kopf: Wie begrüße ich eigentlich arabische Pfadfinder?

 

Die Pfadfinder weltweit geben sich die linke Hand, „die vom Herzen kommt“, während man den Daumen der Rechten auf die Spitze des kleinen Finger legt („Der Große beschützt den Kleinen“) und die drei übrigen Finger geschlossen in die Luft gestreckt werden. Sie sollen die drei Prinzipen „Gott, dem Nächsten und sich selbst gegenüber treu zu sein, symbolisieren. Das Problem dabei: Die linke Hand gilt in der arabischen Welt traditionell als unrein. Sie wird beispielsweise eingesetzt um sich den Po zu säubern, während sie nie Essen berühren darf. Und die man niemanden zur Begrüßung gibt. Niemals.

 

Als das Treffen anfängt, trägt es zuerst auch nicht zur Erhellung dieser Frage bei. Die Besucher und die Gastgeber sind an zwei langen Tischreihen sich gegenüber positioniert, als würden Siemensmanager mit Gewerkschaftsvertreter über Arbeitszeitverlängerung und Stellenabbau verhandeln. Händeschütteln aufgrund der Distanz unmöglich.

 

Ich hatte eigentlich gehofft, dass wir die Pfadfinder in Aktion erleben würden, in einem Zeltlager oder bei einem ihrer Sozialprojekte. Stattdessen reden wir – wie so oft auf unserer Reise – nur mit Verantwortlichen und Funktionären. Die Aktivitäten der vier ägyptischen Pfadinderverbände lernen wir durch eine Powerpointpräsentation kennen. So lernen die „Sea Scouts“ Segeln und die „Air Scouts“ Fallschirmspringen, während die „normalen“ Pfadfinderinnen und Pfadfinder touren in die Sahara unternehmen. Alle zusammen führen Entwicklungshilfeprojekte durch. Sie renovieren Schulen, bauen in Dörfern Sanitäranlagen auf, führen Drogenaufklärung durch und sogar Impfkampagnen.

 

Die Arbeit der Pfadfinder ist für Ägypten sehr wichtig. Bei unseren Besuchen beim Jugendministerium werden sie mehrfach als wichtige Partner benannt, sie arbeiten mit internationalen Organisationen wie der UNO und der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) Hand in Hand. Susanne Mubarak, Ehefrau des seit 25 Jahren autokratisch regierenden Präsidenten Husni Mubarak dankte den Pfadfindern für ihre Arbeit zur Integration Behinderter.

 

Nach dem Vortrag werden kleine Geschenke ausgetauscht. Ich übergebe ein DPSG-t-Shirt. Der Empfänger gibt mir zum Dank die linke Hand. Doch meine Schlussfolgerung, dass ägyptische Pfadfinder diesen Gruß verwenden, erweist sich als Trugschluss. Wenige Minuten später treffen wir einen Gruppe Pfadfinder, die in dem Nationalzentrum an einer politischen Schulung teilnehmen. Als ich einem der jungen Leiter zum Abschied die linke Hand gebe, ist er völlig entsetzt. Er erbleicht und stammelt „al-Yamin, al-Yamin“: „Die Rechte, die Rechte.“

 

Brückenbauer zwischen den Religionen 
Ägyptische Jugendliche engagieren sich für die Verständigung von Christen und Muslimen
Rundfunkreportage von Nils Naumann


Ein kleines Kreuz, tätowiert zwischen Daumen und Zeigefinger – so zeigen die christlichen Ägypter ihren Glauben. Rund zehn Prozent der Bevölkerung am Nil sind Christen, die meisten gehören der koptisch-orthodoxen Kirche an. Immer wieder kam es in den vergangenen Jahren zu Ausschreitungen gegen die Minderheit. Yussuf Sidhum, Herausgeber der christlichen Zeitung Watani, will eine Eskalation verhindern. Deswegen hat er mehrere Gesprächsgruppen von christlichen und muslimischen Jugendlichen gegründet. Eine Neuheit in einem Land, in dem Christen und Muslime bisher kaum miteinander redeten.

 

Downtown Kairo: Straßenlärm, Neonreklamen, Stuckfassaden. Das alte – europäisch geprägte – Herz der Stadt. Früher lebten hier Menschen aus aller Welt, , die verblassende Erinnerung an eine Zeit als Ägypten weltoffen war und hier Griechen, Franzosen, Ägypter, Christen, Juden und Muslime, einträchtig miteinander lebten. Hier, in einem etwas heruntergekommenen Gebäude, dass seine besten Zeiten schon lange hinter sich hat, liegt die Redaktion der christlichen Zeitung Watani. Treffpunkt von jungen Christen und Muslimen.

 

Es ist früher Abend, rund 20 Jugendliche, Männer und Frauen, Christen und Muslime, diskutieren über Politik und Religion. Eine der jungen Frauen trägt Kopftuch und ein schwarzes Gewand, eine andere Militärhose und T-Shirt:

 

O-Ton Ingi Magdi: „Hier kann jeder seine Meinung sagen – egal ob Christ oder Muslim. Deswegen komme ich hierher“

Ingi Magdi ist 21 – hat lange dunkle Haare und wie fast alle ägyptischen Christen zwischen Daumen und Zeigefinger ein kleines Kreuz tätowiert.

O-Ton Ingi Magdi: „Ich kann hier erfahren was Muslime denken, mich mit ihnen austauschen und neue Freundschaften schließen.“

Auch der 20-jährige Hussein Machmud betont die verbindende Wirkung des Projekts:

O-Ton Hussein Machmud: „Hier lernt man den andern zu mögen und ihn und seine Meinung zu akzeptieren.“

 

Der Muslim Hussein und die Christin Ingi sind zwei von insgesamt rund 250 Jugendlichen, die in den verschiedenen Projekten von Watani mitarbeiten. Sie diskutieren über gesellschaftliche Probleme und ihre Lösung, spielen gemeinsam Fußball oder Volleyball oder inszenieren Theaterstücke über das Zusammenleben von Christen und Muslimen. Ein solcher Austausch zwischen den Religionen ist in Ägypten keinesfalls selbstverständlich. Yussuf Sidhum, Chefredakteur von Watani und Initiator des Projekts:

 

O-Ton Yussuf Siddum: „Die Jugendlichen wachsen ja im Grunde voneinander getrennt auf. Sie lernen nicht miteinander, sie spielen nicht miteinander, sie schließen keine Freundschaften. Da ist eine Kluft und die andere Religion ist ihnen fremd.“

Die Jugendlichen in Yussuf Sidhums Projekt, sie sollen Brücken bauen zwischen den Religionen:

O-Ton Yussuf Sidhum: „Wir bringen Christen und Muslime zusammen, damit sie lernen den Anderen zu akzeptieren. Umso mehr sich Christen und Muslime im Alltag mischen, umso besser wird das Verhältnis zwischen den Religionen. Das macht dem Misstrauen ein Ende.“

Und das ist weit verbreitet: Immer wieder kam es in den vergangenen Jahren zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Im April 2006 stürmte ein Mann in mehrere Kirchen der Hafenstadt Alexandria und stach wahllos auf Gläubige ein. Eines der Opfer starb. Es folgten tagelange Straßenkämpfe zwischen Christen und Muslimen. Und zur Jahrtausendwende gab es bei einem Pogrom an Christen in einem Dorf in Oberägypten sogar mehr als 20 Tote.

 

Doch die ägyptischen Christen, sie stellen rund 10 Prozent der Bevölkerung, sind nicht nur über die regelmäßigen Gewaltausbrüche muslimischer Extremisten beunruhigt. Sie fühlen sich vom Staat benachteiligt. Dabei garantiert die Verfassung Religionsfreiheit.

 

O-Ton Saadedin Ibrahim: „Die ägyptischen Christen haben zum Beispiel nicht die selben Rechte, Gotteshäuser zu bauen und zu erhalten wie die Muslime. Bei einem Neubau muss noch immer der Präsident persönlich zustimmen. Auch an den Schaltstellen der Macht, im Kabinett, im Parlament, im Sicherheitsapparat sind die Christen nicht ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend vertreten. All das sind deutliche Indikatoren für Diskriminierung!“

 

Der muslimische Bürgerrechtler Saadedin Ibrahim hat die Diskriminierung der ägyptischen Christen immer wieder angeprangert. Eine Diskriminierung, die erst in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts begann. Der damalige Präsident Sadat begünstigte die Wiedererstarkung des Islamismus. 

Dabei hatten Christen und Muslime einst gemeinsam gegen die britischen Kolonialherren gekämpft. Symbol des Aufstands: der islamische Halbmond mit dem christlichen Kreuz. Der Christ Yussuf Siddhum setzt auf eine Rückbesinnung auf diese alten Werte:

O-Ton Yussuf Sidhum: „Das ist die Idee hinter unserem Projekt: Das Prinzip der Nation, der ägyptischen Nationalität, der Bürgerrechte - dass wir in diesem Land nicht nebeneinander her leben können, dass wir uns auf unsere gemeinsame ägyptische Identität konzentrieren müssen!“

 

Islam und Jugend
Von Lutz Bernhardt

Das Tragen eines Kopftuches galt vor Jahren in Ägypten als rückständig und verstaubt. Heute erlebt das Land eine wahre Renaissance der Verschleierung, wobei vor allem junge Mädchen damit ihre Besinnung auf den Islam zum Ausdruck bringen wollen. Auch die jungen Männer wenden sich der Religion zum Teil stärker zu, als ihre Eltern es vorgelebt haben. Unter Politikern und Intellektuellen wird die Rückbesinnung auf den Islam heiß diskutiert, im Westen geht schon das Schreckgespenst des Fundamentalismus um. Lutz Bernhardt hat unter Jugendlichen nach Hintergründen gesucht.

 

Um kurz vor Mitternacht werden die Kerzen angezündet und die jungen Männer stimmen das Geburtstags-ständchen an. Ahmed wird 19 Jahre alt. Seine Freunde wollen ihm eine besondere Freude machen. Sie haben eine Felucke gemietet, eine große Torte besorgt und jetzt wird gefeiert – mitten auf dem Nil. Das Segelschiff kreuzt zwischen der Nilinsel Zamalek und dem rechten Ufer, wo die Luxushotels stehen. Ausgelassen albern die Jungs herum, die Mädchen schießen Bilder mit ihren Foto-Handys.

 

So eine feiernde Gruppe von Jungen und Mädchen sieht man im Kairoer Stadtbild sonst selten. Selten ist auch, dass nur ein Mädchen ein Kopftuch trägt. Das ist Shimaa Mokhtar, 26 Jahre alt, Mitarbeiterin einer Marketing-Agentur für Bodybuilding-Wettbewerbe – und seit zwei Jahren zum Islam zurückgekehrt. Das Kopftuch, das Higab, ist dafür das äußere Zeichen. „Ich habe mir die Freiheit genommen, mich an meine Religion zu halten, weil ich sie sehr respektiere. Dadurch fühle ich mich auch mit den anderen Religionen stärker verbunden – und mit den anderen Menschen, die den Islam ernst nehmen.“

 

Shimaa will alle Lebensbereiche in ihre Religion einbeziehen. Sie verschleiert ihre Haare, weil deren Anblick einzig ihrem zukünftigen Ehemann vorbehalten bleiben soll. Shimaa gehört zu einer Generation junger Frauen aus der städtischen Mittelschicht, deren Mütter das Kopftuch seinerzeit abgelehnt haben.

 

Einer neuen Umfrage zufolge, verschleiern mittlerweile 80 Prozent der ägyptischen Musliminnen ihre Haare. Der Trend zurück zu Higab und Niqab, der vollständigen Verschleierung bis auf die Augen, passt in das allgemeine Bild: Viele junge Menschen wenden sich sehr stark der Religion zu. Shimaa erklärt das mit dem gewachsenen spirituellen Bedürfnis der Menschen im Zeitalter der Globalisierung: „Die Menschen müssen sich mit den Ideen aus dem Ausland auseinandersetzen. Durch die Globalisierung existieren keine Grenzen mehr. Alles strömt nur so auf einen ein, zum Beispiel das Fernsehen oder Radio. Mit diesen Einflüssen musst du alleine klarkommen und musst eigene Ideen entwickeln. Auch um dich gegen all das zu schützen. Du musst sehr genau wissen, was du willst und wie du über die Dinge denkst.“

 

So denkt Shimaa. So denken aber auch viele Politiker und Wissenschaftler. Die Welle der Religiosität unter den Heranwachsenden ist ein Politikum und gleichzeitig Gegenstand zahlreicher Forschungsarbeiten. „Für uns ist das Verhalten der 15- bis 35-Jährigen oft überraschend“, sagt Dr. Mohamed Abd-Elsalam vom Al-Ahram Center for Political and Strategic Studies. „Wir wissen noch viel zu wenig über ihre Beweggründe. Alleine weil es sehr schwer ist, Datenmaterial für eine seriöse Analyse zu beschaffen.“ Die Globalisierung spiele selbstverständlich eine große Rolle, fügt er hinzu, sie verändere die Sicht der jungen Menschen. „Sie wissen, was los ist in der Welt. Sie haben große Ambitionen.“

 

Die jungen Ägypter – egal ob reich oder arm – suchen nach Identität. In einem Land, in dem ein Viertel der Bevölkerung unter schlimmster Armut leidet, in dem fast 50 Prozent nicht lesen und schreiben können, in so einem Land erfüllen sich die bunten Versprechen des Internets und der Satelliten-Kanäle allerdings für die wenigsten.

 

Der Promotionsstudent Sherif Adbel-Samad ist 27 Jahre alt. Er hat in Berlin studiert und arbeitet zurzeit am Goethe-Institut in Kairo. Er benennt die krassen Gegensätze innerhalb der Gesellschaft: „In dieser Stadt erlebt man zum Beispiel, dass Jugendliche mit 200.000 Pfund teuren Autos fahren. Sie gehen Cafés, in die sich normale Ägypter einfach nicht hintrauen. Da kommt das Gefühl auf, dass man sich wehren muss. Da stimmt etwas nicht mit mir, wenn ich mir das nicht leisten kann. Und dann sucht man sich den Halt in der Religion.“

 

Die Schere zwischen den Superreichen und den Ärmsten der Armen ist zwar offensichtlich in Ägypten. Allerdings gibt es diesen Konflikt überall auf der Welt. Sharif sieht den eigentlichen Grund für die sogenannte Re-Islamisierung auch eher in der Geschichte seines Landes. Erst kamen die Briten als Besatzer, dann folgte unter Nasser die Phase des arabischen Nationalismus: „Als dann 1967 der 6-Tage-Krieg kam und Ägypten gescheitert ist, haben sich viele der Religion zugewendet. Das ist ein politischer Grund: Wir haben den Sozialismus ausprobiert, dann kam die Zeit mit Sadat, wo wir eher mit dem Kapitalismus geflirtet haben. Das hat dann auch nicht geklappt. Und schließlich hat man gesagt, Religion ist die Lösung.“

Heute empfinden viele jungen Araber nach wie vor die westliche Politik als Bedrohung für die eigene Kultur und Souveränität. Sharif nennt ein Beispiel von der Amerikanischen Universität in Kairo: „Ich habe gelesen, dass sich die Zahl der Kopftuch tragenden Frauen dort nach dem letzten Irak-Krieg verdoppelt hat. Dass man sich so derart in seiner Religion angegriffen fühlt, dass man das zur Schau stellen muss.“

 

So kann die Re-Islamisierung als Reaktion gedeutet werden. Sharif Abdel-Sadat sieht in dem Verhalten seiner Altersgenossen wesentliche Thesen des libanesischen Essayisten Amin Maalouf bestätigt. In dessen Buch „Mörderische Identitäten“ sind die Gründe und Mechanismen beschrieben, die dazu führen, dass sich aus vielen Identitäten eines Menschen eine herausschält. „Auf die Frage nach der eigenen Identität hätte man vor 40 Jahren die Antwort gehört: Ich bin Ägypter oder Araber. Heute heißt es: Ich bin Moslem. Moslem zu sein bedeutet, dass man gegen Amerika ist, dass man gegen Israel ist, weil man sich als Opfer begreift.“

Dieses Einfinden in die Opferrolle kann den ersten Schritt auf einem verworrenen, von sehr individuellen Erlebnissen gekennzeichneten Weg zum Fundamentalismus markieren. Vom Jugendministerium bis zum staatlichen National Center for Social and Criminological Research gibt es etliche offizielle Stellen in Ägypten, die von einer Zunahme „religiös motivierter Straftaten“ sprechen. So untersucht der Strafrechtsprofessor Ahmed Miligui von der Universität Kairo unter anderem den Zusammenhang zwischen Armut und Fanatismus: „ Viele Menschen sind der Auffassung, dass die Probleme der ägyptischen Gesellschaft eine Art Strafe Gottes sind. Weil wir unsere Religion verlassen haben, ist Gott nicht zufrieden mit uns. In solcher Atmosphäre entwickeln sich radikale Tendenzen.“ Und Dr. Mohamed Abd-Elsalam vom Al-Ahram-Forschungszentrum räumt ein, dass „es schon einige Jugendliche gibt, die auf den extremistischen Zug aufspringen.“

 

Doch ist die Situation um einiges komplizierter. Die Zuwendung zur Religion mit Intoleranz oder sogar Fundamentalismus gleichzusetzen wäre falsch, sagt der Leiter des Kairoer Goethe-Institut Johannes Ebert. „Wenn ich Fotos vergleiche, von unserer Bibliothek heute und von vor 20 Jahren, dann sehe ich natürlich, dass heute mehr Frauen Kopftücher tragen.“ Aber neben vielen anderen Aspekten spiele dabei auch ein allgemeines Trendbewusstsein unter jungen Menschen eine Rolle. Genauso wie der Wunsch nach Zugehörigkeit – oder mit anderen Worten: das Bedürfnis, „in“ zu sein: „Wenn der Mainstream halt eher in Richtung Rückbesinnung auf religiöse Werte geht, dann glaube ich, dass die soziale Kontrolle in diesem Rahmen läuft.“ Spannend wäre ein wissenschaftlicher Ansatz, der der Frage nachgehen würde, inwieweit es sich auch um eine Abgrenzung zur Elterngeneration handelt. „Bei einer Theatervorstellung habe ich erlebt, wie sich die Mütter darüber geärgert haben, dass unter den jungen Mädchen kaum eine unverschleiert war“, erzählt Ebert. Dieser Konflikt wäre jedenfalls vergleichbar mit typischen Eltern-Kind-Auseinandersetzungen – egal in welchem Teil der Erde.

 

Unter den Jugendlichen selbst wird übrigens lebhaft debattiert, wie weit die Religion den Alltag dominieren darf. Kopftuch – ja, nein? Westliches Kino – ja, nein? Wann darf ich ein Mädchen ansprechen, wann nicht? Bei der Bewertung dieser Fragen spielt die Art der Erziehung eine große Rolle. Viele Regeln des Alltags lassen sich eher mit der Tradition erklären, als mit dem Koran.

Shimaa Mokhtar, die 26-jährige Marketingassistentin, ist ein Beispiel für die junge Generation von Muslimen in Ägypten. Der Islam bietet ihr Halt in einer Gesellschaft voller Gegensätze. Missionieren will sie niemanden: „In der Zukunft möchte ich eine Familie haben, die sich mit der Welt ebenso verbunden fühlt wie ich. Mir sind die Menschen wichtig, ob sie an den Islam glauben oder nicht. Religion ist eine sehr persönliche Sache.

 

Zwischen Kopftuch und Konfrontation
Junge Ägypter auf der Suche nach sich selbst 
Von Nicole Asmuth
Ägypten besitzt eine der jüngsten Bevölkerungen weltweit. Im Land am Nil wenden sich immer mehr Jugendliche dem Islam zu und verpflichten sich zu einer strengen Auslegung der Glaubensgesetze. Für viele junge Leute ist das auch Ausdruck ihres Protestes gegen die bestehende Ordnung.

 

Die große weiße Eingangstür fällt ins Schloss und dämpft die Geräusche von draußen, das Schreien der Passanten und das Hupen der Autos, ein ununterbrochenes Crescendo, fast so als wäre der Daumen der Fahrer mit der Hupe zusammengewachsen. Im Flur ist es schattig, angenehm nach den fünfundzwanzig Grad eines ägyptischen Novembertages.

Nikolaus Eberl ist Herr über diese Oase der Ruhe inmitten des pulsierenden Lebens Alexandrias. Eberl ist klein, trägt einen eleganten Anzug und spricht mit unverkennbar bayrischem Akzent. Seit 1999 leitet er die Deutsche Schule in Alexandria, eine von dreien in Ägypten. Mit korrektem Titel heißt sie „Deutsche Schule der Borromäerinnen Alexandria“, ein Verweis auf die Trägerschaft durch den christlichen Orden der Borromäerinnen, die ihren Sitz in Schmallenberg im Hochsauerland haben.

 

Der Gegensatz beginnt schon in der Schule
Heute drücken hier rund 75 % muslimische und 25 % koptische Mädchen die Schulbank sowie eine Handvoll deutscher Kinder, deren Eltern in Ägypten arbeiten. Im Unterricht wird Goethe gelesen und die Suren des Koran gelernt. Abends, wenn die rund 650 Mädchen die Schule verlassen, betreten sie eine Welt, in der der Islam mehr und mehr das alltägliche Leben der Menschen bestimmt. Den Gegensatz zwischen modernem Schulbetrieb und streng islamischer Gläubigkeit bekommen die Schülerinnen immer wieder zu spüren. “Ich hab täglich draußen auf der Straße Probleme,“ sagt die 18-jährige Nada. „Ich werde angemacht von blöden Typen, die nichts im Kopf haben und nur im Café sitzen. Das ärgert mich. Vielleicht liegt es an meinem Aussehen, weil ich anders rumlaufe als viele ägyptische Mädchen, die verschleiert sind.“ Auch Nada ist gläubig, aber Religion ist für sie etwas ganz persönliches. „Ich erlaube keinem, dass er mich kritisiert oder mir befiehlt, das zu machen und das nicht. Das erlaube ich nur meinen Eltern.“

Das Kopftuch wird allerdings auch auf dem Schulhof vermehrt getragen. In Anlehnung an einen Ministerialerlass erlaubt die Schule das Tragen des Kopftuches erst ab der siebten Klasse. Das hat zu Auseinandersetzungen mit einigen Eltern geführt. „Für viele Eltern stechen die Regeln Allahs die Regeln der Deutschen Schule der Boromäerinnen hier in Alexandria aus,“ erklärt Schulleiter Eberl. Es habe einige ziemlich unangenehme Gespräche gegeben.

Glaube als Protest


Wer sich auf Ägyptens Straßen bewegt, sieht wenige Frauen ohne Kopftuch. Im Gespräch erzählen viele Mädchen, dass sie sich aus eigener religiöser Überzeugung verhüllen. Die Jugend in Ägypten wendet sich der Religion zu. Die theologischen Fakultäten an den Universitäten haben Hochkonjunktur. Für Muhammad Abu-Hattab, Dozent für Germanistik an der ältesten Universität der Welt, der Al-Azhar in Kairo, ist diese religiöse Bewegung auch eine Reaktion auf die bestehende Ordnung. „Die Massen in Ägypten, in allen afrikanischen und arabischen Ländern, in Saudi-Arabien, im Irak, in Afghanistan, sehen die eigenen Regierungskreise als Spielzeug des Westens. Wo gibt es einen Herrscher, der nicht unter dem Ladentisch mit Amerika zu tun hat. Das Volk ist dagegen.“ Die Massen, das sind vor allem auch die Jungen: 32.6 % der Ägypter sind 14 Jahre alt und jünger.

 

Die Globalisierung Ägyptens durch Internet und Satellitenfernsehen hat den Westen, dessen Politik abgelehnt wird, mit seinem Lebensstil erreichbar gemacht für die Jugendlichen im Nil-Delta. Und hat damit auch ein Minimum an Ansprüchen an ihr eigenes Leben geformt, erklärt Mohamed Abd-Elsalam vom Al-Ahram Zentrum für politische und strategische Studien in Kairo. Die Globalisierung erhöht aber auch den Druck auf die eigene kulturelle Identität. Außerdem haben viele Jugendliche keinen Job. „Es gibt aber keinen erkennbaren direkten Zusammenhang zwischen der Arbeitslosigkeit Jugendlicher und dem Eintritt in religiöse Vereinigungen,“ versichert Abd-Elsalam. Viele Anhänger der Muslimbrüder seien noch Studenten, noch nicht mit Arbeitslosigkeit konfrontiert. Die Muslimbruderschaft versucht dennoch gerade junge Menschen anzusprechen, in dem sie ihnen beim Einstieg in das Berufsleben hilft. Und machen sich damit beliebt. Die Muslimbruderschaft verfolgte nach ihrer Gründung zunächst nur karitative Zwecke, im Laufe der Jahre wurde sie jedoch zunehmend radikal. Und zunehmend mächtiger. Offiziell sind sie verboten, gewinnen aber mehr und mehr Einfluss auf die Gewerkschaften und Universitäten. „Man muss dennoch zwischen dem Kopf und dem Körper der Bruderschaft unterscheiden“, erklärt Abd-Elsalam. „Die Mitglieder sind meist nicht konservativ. Die Führer allerdings sind es.“

Nada wird mit ihrem Abschlusszeugnis von der Deutschen Schule in Alexandria einmal keine Schwierigkeiten haben, eine Arbeit zu finden. Die Schülerinnen können die allgemeine deutsche Hochschulreife oder die deutsche Fachhochschulreife erlangen, beides verbunden mit der Zugangsberechtigung zu ägyptischen Hochschulen. Das Prestige der Schule ist auch in Ägypten hoch, die Mädchen sind ehrgeizig. Wenn Nada Glück hat, bekommt sie sogar einen Studienplatz für Musik in Deutschland. Das wäre ihr Traum.

 

„Ich habe das Gefühl, die US-Regierung mag uns nicht“ 


Junge Ägypter spielen den amerikanischen Kongress nach – um herauszufinden, wie es zum Irak-Feldzug kommen konnte


von Karin Schädler

 

Wäre da nicht die zerlumpte Katze, die sich auf die Bühne verirrt hat, der festlich geschmückte Saal würde perfekt aussehen. Im Kontrast zu den überdimensionalen glitzernden Kronleuchtern sticht das staubige Fell des Tieres noch mehr ins Auge und erinnert unwillkürlich an die starke Luftverschmutzung in den Straßen Kairos. Schnell vertreiben zwei Männer in dunklen Anzügen das Kätzchen aus dem Festsaal des edlen Armeeclubs „Dar El-Mosha“. Denn die festlich gekleideten jungen Studenten, die den Raum bevölkern, müssen sich jetzt nicht mit den Problemen ihres Landes beschäftigen. Sie sind gekommen um zu feiern: Alle wurden sie für die Teilnahme am Planspiel „Modell Amerikanischer Kongress“ ausgewählt, das 2007 bereits zum sechsten Mal in Kairo stattfindet. Ein Jahr lang werden die Jugendlichen einen großen Teil ihrer Freizeit dem politischen System der USA widmen, um am Ende Ausschusssitzungen des US-Senats nachzuspielen. Dabei übernehmen einige Teilnehmer die Rolle eines bestimmten Senators. Andere kümmern sich um die Organisation des Projekts. Für etwas mehr als ein Dutzend Teilnehmer winkt als Auszeichnung gar eine Reise in die USA.

 

Die Veranstaltung mutet unwirklich an, wenn man an die immensen sozialen Probleme außerhalb der abgeschotteten Glitzerwelt des Club-Geländes denkt. Aber fast noch mehr, wenn man bedenkt, wie schwer es ist, in Ägypten jemanden zu finden, der etwas Positives über die USA zu sagen hat. Fast nirgendwo im Nahen Osten ist die negative Haltung gegenüber den Amerikanern so ausgeprägt wie in Ägypten. Nach einer Umfrage des Arab-American Institute haben 85 Prozent der Ägypter einen schlechten Gesamteindruck der Vereinigten Staaten. Vor vier Jahren waren es noch 76 Prozent. Andere Umfragen kommen sogar auf eine ablehnende Haltung bei über 90 Prozent der Ägypter, gegenüber etwas über 60 Prozent bei Jordaniern und Libanesen. Als Grund für die Ablehnung nennen 57 Prozent der Ägypter den Irak-Krieg, acht Prozent den Nahostkonflikt.

 

„Natürlich bin ich nicht gerade ein Fan der USA“, sagt eine der Teilnehmerinnen am Planspiel, Ebtihal Khalifa, in nahezu akzentfreiem Englisch: „Wie könnte ich auch, bei all den Kriegen?“ Nichtsdestotrotz wird die 19-jährige Politik- und Wirtschaftsstudentin im kommenden Jahr viel Zeit opfern, um alles über die Arbeit des Senators von Nebraska im Ausschuss für Heimatschutz zu lernen, dessen Rolle sie im Planspiel einnehmen wird. „Es ist wichtig, zwischen der Regierung und dem Volk zu unterscheiden“, sagt Khalifa. „Ich habe viele amerikanische Freunde, die wirklich gute Menschen sind. Allerdings habe ich habe das Gefühl, die US-Regierung mag uns nicht. Und sie dient auch ihrem eigenen Volk nicht gut.“

 

Für die Ausschusssitzungen des Planspiels wurden Themen ausgewählt, die für die ägyptischen Jugendlichen besonders interessant sind: Energiesicherung im Nahen Osten, UN-Reform, Immigration, Menschenrechte oder der Friedensprozess im Nahen Osten gehören zu den Inhalten. In den Sitzungen am Ende des Planspiels muss jeder Teilnehmer auf der Basis des Gelernten improvisieren. Dadurch sollen die Jugendlichen Selbstvertrauen entwickeln sowie methodische und soziale Fähigkeiten erlernen. Aber die Studenten haben noch einen anderen Grund, am Planspiel teilzunehmen: „Die USA sind eine Supermacht. Wir müssen unbedingt verstehen, wie es passieren kann, dass sie losgehen und den Irak angreifen“, beschreibt Alamir Allaa Al-Din das Motiv vieler seiner Mitstreiter. „Ich habe kein Problem mit dem amerikanischen Volk, aber warum haben sie den Irak angegriffen? Warum unterstützen sie Israel?“, fragt der 19-jährige Politikstudent, der die Rolle eines Senators im Ausschuss für Außenbeziehungen übernehmen wird.

 

Gemeinsam mit der Fakultät für Politik- und Wirtschaftswissenschaften an der Kairoer Universität ist die Amerikanische Botschaft Schirmherr des studentisch verwalteten Projekts. Die Botschaft betrachtet das Planspiel offiziell als Mittel zur Demokratieförderung in Ägypten. Doch das Programm könnte durchaus auch dazu führen, das Ansehen der Vereinigten Staaten unter der künftigen wirtschaftlichen und politischen Führungselite Ägyptens zu verbessern. Khalifa hat bereits im Vorjahr in der Newsletter-Gruppe des Planspiels mitgearbeitet. „Meine Meinung über die USA hat sich durch das Programm schon ein bisschen geändert“, sagt sie. „Durch das Engagement habe ich erkannt, wie kompliziert es ist, Politik zu machen. Ich weiß jetzt, dass selbst gute Politiker es oft sehr schwer haben, ihre Absichten umzusetzen.“ Und einer der Jugendlichen, der im vergangenen Jahr für die Reise in die USA ausgewählt wurde, bezeichnet die Fahrt im Nachhinein als die „beste Chance seines Lebens“.

Berichte aus dem Jahr 2004

Im Land der Pharaonen und der Armut

Ägypten - endlich betraten meine Füße das Land am Nil. Mit gemischten Gefühlen dachte ich an die nächsten zehn Tage, die unsere sechsköpfige Gruppe erwarten würde. Ich hatte bei meiner Recherche im Vorhinein unterschiedliche Eindrücke von Ägypten: Hier herrschten vor Tausenden von Jahren Pharaonen, entwickelten eine Schrift und ließen riesige Pyramiden bauen. Diese Hochkultur faszinierte mich. Doch Ägypten ist auch ein armes Land, in der viele Menschen in Slums wohnen, weder lesen noch schreiben können und diesbezüglich leider auch wenig Aussicht auf Besserung besteht. Bilder von armen Straßenkindern tauchten in meiner Vorstellung auf. Darüber hinaus dachte ich an den zunehmenden islamischen Fundamentalismus, der in mir ein Unbehagen hervorrief.

 

„Welcome to Egypt“, sprach mich ein Ägypter an und riss mich aus meinen Gedanken. Dieser meist freundliche gemeinte Zuruf würde uns den ganzen Aufenthalt über begleiten. Nun freute ich mich darauf, das Land kennen zu lernen und mir ein eigenes Bild, losgelöst von Reiseführern, Nachrichten und Fernsehreportagen machen zu können…

 

Monsieur Ahmed und Madame Faiza, unsere Gastgeber vom ägyptischen Jugendministerium, hatten unsere Termine mit Jugendlichen, Fachleuten und Politikern anhand unserer Recherchewünsche zusammengestellt und auch die Besichtigung von Sehenswürdigkeiten wie die Pyramiden, das ägyptischen Museum, die Mohammed Ali Moschee und die Bibliothek von Alexandria ins Programm aufgenommen.

 

In Kairo erklärte uns der Leiter der traditionell islamischen Al-Azhar Universität die Toleranz der islamischen Religion aus seiner Sicht. Es blieb jedoch bei diesem Treffen wenig Raum für eigene Fragen. Diese stellten wir dann Studenten und Studentinnen des Al-Mostakbal Jugendclubs. In lockerer Atmosphäre diskutierten wir über die Rolle der Frau in der islamischen Gesellschaft und das Tragen des Kopftuchs.

 

Weiterhin präsentierte uns der Nationalrat für Frauen, wie er zur Gleichstellung von Frauen in der ägyptischen Gesellschaft beiträgt. Er arbeitet unter anderem mit bewegenden Fernsehclips gegen Beschneidung, Kinderarbeit, häusliche Gewalt und für die Ausbildung von jungen Mädchen. Mit diesen Kurzfilmen sollen die Ägypter für die Rechte der Frauen sensibilisiert werden. Beim Nationalrat für Kindheit und Mutterschaft erfuhren wir erschreckende Zahlen über die stetig wachsende Bevölkerungsdichte und die Verstädterung und diskutierten mit Dr. Safa Elbaz, Assistentin des Gesundheitsministers, über Programme zur Aufklärung und Verhütung.

Besonders interessant gestaltete sich ein Gespräch mit Diaa Rashwan, Leiter der vergleichenden Politikwissenschaft, des Al-Ahram Center for Political an Strategic Studies. In der Diskussion über die islamische Radikalisierung äußerte er mit Bestimmtheit, dass der Westen und die islamischen Länder in einen Dialog treten müssen, ansonsten käme es zu einer immer größeren Kluft zwischen beiden Kulturen.

 

Unsere zweite Station war Alexandria. Hier bekamen wir Einblick in die Arbeit eines Kinderparlaments und waren überrascht von der selbstbewussten Darstellung der 12 bis 18-jährigen Parlamentarier. Darüber hinaus besuchten wir die Schule „Licht und Hoffnung“ für blinde Mädchen und ein Projekt von Caritas zur Pflege von Armenkindern. Beide sozialen Einrichtungen leisten hervorragende Arbeit. Leider nimmt die Blindenschule aber nur Kinder mit sehr schweren Augenfehlern auf, stark Sehbehinderte finden in Ägypten wenige Hilfsmöglichkeiten. Auch das Armenkinderprojekt muss sich nach anfänglicher Starthilfe durch die Caritas nun selbst finanzieren. Trotz guten Willens fehlt in Ägypten oft das Geld, um Menschen aus Randgruppen der Gesellschaft zu helfen. Ich war oft betroffen von dem Elend auf den Straßen Kairos und Alexandrias. Alte Menschen, Behinderte und kleine Kinder baten um eine Gabe und schienen unter erbärmlichen Umständen zu leben. Wie kann man helfen? Für dieses Problem fand ich keine überzeugende Lösung.

 

Einen Höhepunkt der Reise stellte für mich der Besuch des „Imbaba Jugendzentrum“ dar. Hier können Schulabbrecher und Hausfrauen lesen und schreiben lernen. Im Gespräch mit den Schülern erfuhren wir die vielfältigen Gründe, warum Jugendliche die Schule vorzeitig verlassen haben. Die Finanzierung spielte bei vielen eine Rolle, frühe Heirat, aber auch das Sterben eines Elternteils und die damit verbundene Aufgabe, die Geschwister zu erziehen. Die Schüler versprechen sich durch die Alphabetisierungskurse bessere Zukunftsaussichten. Ich war beeindruckt von dem Fleiß der Schüler, aber auch von den Lehrern, die ihre Tätigkeit für wenig Geld – oft sogar nur ehrenamtlich – ausführen.

 

Die Reise nach Ägypten bot eine journalistische Herausforderung. Mitunter konnte es passieren, auf eine bestimmte Frage eine Antwort zu erhalten, die mit dem Gefragten nichts zu tun hatte. Auch war nicht immer ersichtlich, wohin wir fuhren und mit wem wir genau sprachen. Aber gerade diese Unwägbarkeiten stellten den Reiz dar: Freundlich aber bestimmt konnten wir interessante Informationen einholen.

 

Ich habe viel über Ägypten gelernt, interessante Menschen getroffen und Einblick in die aktuellen politischen und kulturellen Entwicklungen gewonnen. Mein Eindruck ist immer noch gemischt, aber ich verstehe nun die ägyptische Gesellschaft besser. Ein altes Sprichwort sagt: Wenn man vom Wasser des Nils trinkt, wird man süchtig und kommt wieder. Vom schmutzigen Wasser des Flusses wollte ich lieber nichts trinken. Brauchte ich jedoch auch nicht, denn ich werde mit Sicherheit wieder nach Ägypten reisen.

Nikola Poitzmann (2004)