Erfahrungsbericht

Im Frühsommer 2011 reisten KollegInnen des PNJ nach Minsk, um sich über "Jugendkulturen in Belarus" zu informieren. Unsere TeilnehmerInnen waren "beeindruckt" davon, wie der Staat selbst in diese ureigensten Jugend-Domänen eingreifen und sie lenken kann. Martin Schütz, freier Journalist aus Köln, berichtete in einem Interview mit dem Sender Köln-Campus darüber.

Diane Hielscher ist Redakteurin beim Berliner Radiosender FluxFM und Autorin eines Buches über Jugendkulturen im Russisch-sprachigen Raum. Sie besuchte ein Indi-Rock-Konzert und berichtete darüber. Für uns zeigt sie ein Beispiel  für gelenkte Jugendkulturen auf:

Mit Patriotismus zum Skatepark

In Weißrussland wollen ein paar Jugendliche aus einem alten sowjetischen Ferienlager ein

 

Jugendpark machen, der seinesgleichen sucht in Europa.

Von Diane Hielscher

 

Auf alten Autoteilen soll man sitzen können, sie werden als Sofas umgebaut. Zugwaggons sollen zu Hostel-Schlafsälen werden. Eine Open Air Bühne ist geplant, eine DJ-Schule, ein Skatepark und eine Kletterwand.

Wir stehen in einem alten Pionier-Ferienlager, etwa 20 Autominuten von Weißrusslands Hauptstadt Minsk entfernt. Von den geduckten Häusern blättert der graue Putz ab. Das Gras ist hoch, die Hecken wachsen wohin sie wollen, die Bäume sind alt. In das Vogelgezwitscher hinein erzählt uns Denis Romantschuk, was die Jugendlichen hier alles vorhaben.

 

Und sie haben viel vor. Unzählige junge Menschen in ganz Minsk haben ihre Ideen, ihre Kreativität und ihr Können zu diesem Projekt beigetragen. Sehen tut man noch nichts. Aber bis 2014, zur Eröffnung der Eishockey-WM, soll alles stehen. Die Vision sieht vor, dass aus einem alten Ferienlager ein Jugendpark wird, der seinesgleichen sucht in Europa.

 

Ein paar Jungs hatten die Idee, dieses verrottende Gelände wieder zum Leben zu erwecken. Allen voran Denis, er ist 25 Jahre alt, hat technische Wirtschaft studiert und ist jetzt Leiter des jugendlichen Gesellschaftsvereins „Neue Clubrichtung“. Diesen langen Titel haben sich die Jungs gegeben, um als juristische Person auftreten zu können. Das wiederum ist nötig, um an die Unterschrift des Präsidenten zu kommen, ohne die geht hier schließlich gar nichts. Im Detail zu erklären, wie man an diese Unterschrift kommt, wäre jetzt zu kompliziert zu erklären, lacht Denis. Aber im Großen und Ganzen muss man einen Business-Plan aufstellen, Architekten-Pläne zeichnen, diese Papierberge kommen dann in die Stadtverwaltung und die kümmert sich um den Rest. Es hat geklappt. „Niemand macht sich in unserem Staat Gedanken um die Jugendlichen.“ sagt Denis. Sein Antrieb hier etwas schaffen zu wollen sei ganz klar Patriotismus, die Liebe zum eigenen Land. Ohne die „Neue Clubrichtung“ würde dieses Gelände verfallen, das auf aktuellen Karten übrigens nicht mal mehr zu finden ist.

 

 

Die Jungs führen uns zum alten Spielplatz des Ferienlagers, sowjetisch pastellfarbene Spielgeräte rosten vor sich hin. „Hier soll der Skate-Park entstehen!“

 

Der Projektleiter dafür wird Gleb Bentsiovski sein. Er ist Skatelehrer und Leiter der Skateboardschule „Destroyer“ in Minsk und erzählt, dass die Stadtverwaltung eigentlich angeordnet hat, dass jeder Bezirk in Minsk einen eigenen Skatepark haben soll. Tatsächlich gibt es aber nur einen einzigen, der frei zugänglich ist und einen zweiten für Clubmitglieder.

Gleb und die anderen achten bei der Planung peinlich genau darauf, dass der Skate-Park europäischen Standdarts entsprechen wird, damit hier auch Wettkämpfe ausgetragen werden können. Investoren für das Mammut-Projekt gibt es auch schon, Bekannte von Freunden, Namen will Denis aber noch nicht verraten. Er schätzt, dass etwa 500 bis 600 neue Jobs auf dem Gelände entstehen.

 

An den Wänden der kleinen Wohnbaracken lebt die Sowjetunion noch, die Bilder von den Pionieren sollen entweder mit Graffiti übersprayt oder lediglich verziert werden, da sind sich die zuständigen Design-Studenten noch nicht sicher.

 

Die Jungs hatten uns aus dem Stadtzentrum von Minsk abgeholt, um uns hier raus zu fahren, mitten in den Wald. Das Eingangsschild des Areals sagt „Tschaika“, das heisst Möwe. Der Name des Ferienlagers. Später soll es Linienbusse hier raus geben, mit der Stadtverwaltung steht man schon in Verhandlung, aber das kann dauern. Sicherheitshalber ist ein Parkplatz mit Platz für 500 Autos geplant. Was allerdings den ausländischen Touristen, die im Hostel wohnen sollen, nicht weiter hilft, sind die ja meist mit Bus und Bahn unterwegs.

 

 

Auf einer Tischtennisplatten baut Denis plötzlich ein Notebook auf und zeigt stolz eine Multimedia-Präsentation, die die Jugendlichen in liebevoller Kleinarbeit vorbereitet haben. Der Zuschauer fliegt über das Gelände und bekommt zu jeder Station einen kleinen Film zu sehen, mit Musik unterlegt. Meist von Veranstaltungen und Orten, die es so noch überhaupt nicht in Minsk gibt, da ist beispielsweise ein Slackline- Wettbewerb, der in Deutschland statt gefunden hat oder ein Skatepark aus Moskau zu sehen. Die Jungs sehen sich auch selbst als Pioniere. Sie und ihre unzähligen Helfer, die unermüdlich, planen, designen, programmieren, Pläne zeichnen oder klettern.

 

Andrej Schkavinsov ist Leiter des Verbands für den Klettersport in Minsk, er wird bei Planung und Bau der Kletterlandschaft helfen, indoor und outdoor. Etwas Vergleichbares gibt es bis jetzt noch nicht, in ganz Weißrussland, sagt er, seine Augen glänzen dabei. Fans des Klettersports müssen hier mit einer kleinen Wand in einer Turnhalle vorlieb nehmen.

 

Vor zwei Monaten haben die „Neue Clubrichtung“-Jungs ihn erst angesprochen, befreundet waren sie noch nicht. Jetzt treffen sie sich ab und zu und tauschen Visionen aus.

 

„Wenn wir unsere Kräfte richtig einsetzen, können wir das auch bis 2014 schaffen!“ sagt Andrej. „Die Jugendlichen sind hier sehr zielstrebig. Außerdem wollen wir unbedingt Jugendliche aus anderen Ländern zu uns locken!“

 

Das Gymnasium Nummer 12

Fritz Hermann Köser

 

Angelina ist elf, eigentlich noch ein Kind, aber sie hat bereits große Pläne.  Nicht Filmstar oder Model will sie werden, sondern Kardiologin. Die Schülerin mit dem blonden Pferdeschwanz und der adretten Schuluniform, dunkler Rock, weiße Bluse, schwarze Schuhe, besucht die fünfte Klasse des Gymnasiums Nummer 12 in Minsk. Es ist eine Art Eliteschule, eine von mehreren in Weißrussland, und für sie der erste Grundstein auf dem Weg Richtung Arzt-Karriere. Ihr Terminkalender ist jetzt schon voll. Unterricht, reichlich Hausaufgaben und dann noch Musikschule, fast jeden Nachmittag, sie lernt Violine.

 

 Empfindet sie das nicht als stressig? "Es geht",  sagt das recht schüchterne Mädchen bescheiden.  "Das sagen alle fleißigen Kinder", scherzt   Margarita Kotsuba in einwandfreiem Deutsch. Diese  Sprache unterrichtet die Lehrerin hier nebst  Englisch. Sie, zwei weitere Kolleginnen sowie  einige Schüler haben sich in einem Klassenzimmer  versammelt, um sich mit dem Journalisten aus  dem Ausland zu unterhalten. Er gehört zur  vierköpfigen Delegation des in Bonn ansässigen  „Pressenetzwerks für Jugendthemen“, die auf  Einladung der "Republikanisch-gesellschaftlichen  Union 'Belarussische Assoziation der Unesco-  Vereine'", eine Art belorussischer Unesco-  Dachverband, Weißrussland besuchte.

 

 Das Gymnasium Nummer 12, ein moderner  schmuckloser Bau in einem Vorort der  weißrus-  sischen Hauptstadt,  unterscheidet auf den  ersten Blick kaum etwas von anderen (weiß)russischen Schulen. Vielleicht wirkt alles etwas gepflegter, vielleicht gibt es einen Tick mehr Komfort. Mittags essen die Schüler in einer Kantine, nachmittags warten auf sie Arbeitsgemeinschaften und  eine Sporthalle. "Die nehmen die Jungs für Basketball und Fußball  immer in Beschlag", sagt Angelina lächelnd.

 

Von draußen dringt Lärm ins Klassenzimmer. Hunderte Schüler und ihre Eltern stehen im Hof, die Jungen tragen Anzüge, die Mädchen Kleider. Die kleinen Schülerinnen tragen eine weiße Riesenschleife im Haar - eine Tradition aus Sowjetzeiten. Es ist der letzte Schultag vor den Ferien, das Gebäude ist mit bunten Luftballons geschmückt, die Sonne lacht, die Direktorin hält endlose Ansprachen, ein Sänger schmettert ein paar Lieder. 


Ja, die Schule zeigt Flagge, sie leistet sich sogar ein eigenes Museum, mit einer eigens angestellten Wärterin. Alte Schreibhefte, darunter eines von 1953, liegen dort aus, oder vergilbte Zeugnisse, wie gut doch eine gewisse Marina 1981 in Mathe oder Russisch war. Fotos, Orden, Urkunden, Ehrungen über Ehrungen. Der beste Lehrer, der beste Schüler, und, kein Witz,  die beste Putzfrau. Manche Absolventen wurden im Land "Promis", darunter ein Box-Champion, eine Teilnehmerin an Miss-World-Wettbewerb, und Dimitri Kaldun. Der gewann 2006 den sechsten Platz beim Eurovision Song Contest. Damit ist er im Land eine Berühmtheit, hat doch der Song-Wettbewerb in Weißrussland wie in ganz Osteuropa einen ähnlichen Stellenwert wie anderswo die Fußball-WM.

 

Wer es auf die Eliteschule schafft und sich dort hält, hat bessere Chancen, nach dem Abschluss in der elften Klasse einen der begehrten Studienplätze zu bekommen. Und später vielleicht den gewünschten Traumjob.  Doch zunächst muss die künftige Elite eine Hürde nehmen -  die Aufnahmeprüfung. Sie ermöglicht den Einstieg ab der  fünften oder neunten Klasse. 125 Schüler versuchen den Test jedes Jahr an dieser Schule,  70 Prozent bestehen ihn.

 

Margarita Kotsuba zählt die Vorteile gegenüber regulären Oberschulen auf. "Die Klassenräume sind besser ausgestattet, und wir haben hervorragende Verbindungen zu den Hochschulen", sagt sie. Das Klima sei angenehmer, die Schüler motivierter und die Lehrer zählten zu den Besten des Landes, ergänzt ihre Kollegin Victoria Bardashevich-Shalygina. Aber ackern muss man, gute Noten sind selten. "Wer zu schlecht ist, muss auf eine reguläre Schule wechseln", sagt sie.

 

Naturwissenschaften oder Sprachen sind die Schwerpunkte. Für das Pauken der fremden Vokabeln oder Grammatik stehen eigens elf Räume zur Verfügung. Deutsch, Polnisch, Türkisch, selbst Chinesisch werde unter anderm angeboten, so Margarita Kotsuba. Während die "Zweitsprachen" sich auf zwei Stunden in der Woche beschränken, wird Englisch mit fünf Stunden fast jeden Tag unterrichtet. Igor geht extra deswegen auf das Gymnasium Nummer 12. Der 14-Jährige will mit seiner Mutter in die Vereinigten Staaten ziehen. "Mein Vater lebt bereits dort", sagt er. Der Geschäftsmann besucht  jedes Jahr die Familie in der alten Heimat, meist geht es dann gleich weiter nach Italien, in den Sommerurlaub.

 

Großen Wert legt das Gymnasium auf den jährlichen Schüleraustausch mit anderen Ländern, etwa Großbritannien, Schweden oder die Niederlande. Valeria (16)  verbrachte im vergangenen Sommer zwei  Wochen bei einer englischen Gastfamilie in Barnstaple bei London. Wunderbar sei es dort gewesen, sagt sie, "bloß das Essen war etwas fett." An Fish und Chips konnte sie sich nur schwer gewöhnen.

 

Zu den offiziellen Schulkontakten kommen die privaten Bekanntschaften. Über Facebook haben fast alle Schüler Freunde in Großbritannien oder in Amerika. Auch das widerspricht dem gängigen Klischee des völlig isolierten Landes, "Europas letzter Diktatur", wie Weißrussland in vielen westlichen Medien gerne bezeichnet wird. Gerade die jungen Leute seien aufgeschlossen, offen und auf Europa fixiert, betont Maragrita Kotsuba. Ihr Land sieht sie als das Fenster des Ostens zum Westen. Ansonsten blenden Schüler und Lehrer das Thema Politik aus. Nur soviel: Die Deutschen, die ihr Land besuchen, so betont die Lehrerin, hätten eine andere Meinung als ihre Medien.

 

 Valeria nahm im Juni an der  viertägigen UN-Konferenz in  Oldenburg in der Bundesrepublik  Deutschland  teil. Jugendliche aus  diversen Ländern übten sich dort im  Debattieren. PR-Spezialistin will sie  einmal werden.Ähnlich engagiert  sind die Kinder und Jugendlichen auf  den Titelblättern der  Jugendzeitschrift Perechodnij  Wozrast (Übergangsalter). Träger  der Zeitung ist unter anderem das  Ministerium für Ausbildung. Ernst  oder freudig, aber immer stolz,  strecken sie dem Betrachter Medaillen, Diplome und Urkunden entgegen, für besondere Leistungen. "Ausgezeichnete Jugendliche", lobt  Chefredakteurin Zhanna Schurok. Da glänzte eine junge Tüftlerin durch besonderen Erfindergeist beim Recycling, da gewann ein junger Draufgänger beim Kartfahren, da malte eine junge Dame besonders schöne Ansichtskarten.  Musterknaben- und mädchen statt Justin Timberlake, Lady Gaga und Co.

 

Das Gebäude, in dem die Redaktion ein paar Räume hat, ist unscheinbar, der Empfang herzlich. Es gibt, ganz traditionell, Brot und Salz zur Begrüßung, als die deutschen Journalisten das Büro von Chefredakteurin betreten. Auf den 16 Seiten, erklärt Zhanna Schurok, gehe es vor allem um Beziehungen, Gesundheit, Mode, Sport, Musik, oder Karriere. Aber auch um Konflikte, mit Eltern, Lehrern oder untereinander. Über Nachwuchs-Rockbands bei einem Musikfestival für Teenies wird berichtet, oder über "Jungmanager", die sich bei entsprechenden "Olympiaden" ausprobieren. Besonders stolz ist die Chefredakteurin auf ein Projekt in 2010, Anlass war das Kriegsende vor 65 Jahren. Kinder befragten Veteranen, schrieben die Geschichten auf und stellten sie zusammen. Von rund 3000 Arbeiten insgesamt  veröffentlichte die Zeitschrift 72.

 

Die letzte Seite ist jedoch bunten Themen reserviert, etwa internationalen Filmstars oder Granden aus der Musikszene, ob Rapper oder Rocker. 6000 Exemplare erscheinen jede Woche, 13.080 Rubel kostet eine Ausgabe. Seit 1994 gibt es die Zeitung, fünf Redakteure, drei Korrektoren und zwei technische Redakteure unterstützen die Chefredakteurin. Das Layout wirkt recht konventionell, geradezu betulich, viel Text, wenig Bilder. "Unsere Leser bekommen nicht nur Unterhaltung", sagt Zhanna Schurok. Sondern auch Fachberatung, vor allem bei Fragen, die sie ihren Eltern nicht stellen mögen. "Im Westen sind solche Zeitschriften viel kommerzieller", findet sie. 

Zwischen Unterdrückung und neuer religiöser Freiheit - Zur Situation der katholischen Jugend in Weißrussland

von Markus Lahrmann

 

 

Weißrussland gilt als die letzte Diktatur Europas. Doch für die Katholiken hat sich seit Ende der Sowjetunion die Lage verbessert.  Landesweit sind etwa 20 Prozent der knapp 10 Millionen Weißrussen katholisch, Tendenz steigend. Die katholische Jugend an der Kathedrale der Heiligen Jungfrau in Minsk, dem Bischofssitz präsentiert sich zunächst sehr vorsichtig, sehr

zurückhaltend im Gespräch mit westlichen Journalisten.

 

Doch zunehmend wird deutlich, dass die Jugendlichen ein großes religiöses Selbstvertrauen ausstrahlen. Sie sind sich sehr selbstsicher als Katholiken in diesem Land - eine Situation, die viele Jahre lang nicht so einfach ist. Erst nach dem Ende der Sowjetunion konnte der katholische Glaube wieder ein bisschen aufblühen, vorher wurde religiöses Leben staatlich unterdrückt. Insgesamt betrachten die katholischen Jugendlichen heute ihre Lage sehr positiv. Denn: Die Zahl der Kirchen nimmt zu, es gibt Religionsunterricht und Katechesen, selbst katholische Presse kann erscheinen. Solange katholische Jugendarbeit nicht politisch aktiv wird, wird sie in dem autoritären System geduldet und nicht behindert.

 

Zwar sagen die Jugendlichen, dass sie manchmal noch von Teilen der Gesellschaft als merkwürdig betrachtet werden, aber offene Diskriminierung oder Unterdrückung, wie das zu Zeiten der Sowjetunion war, erleben sie nicht mehr. Sie freuen sich, dass die Zahl der Katholiken zunimmt und der Glaube wächst, sie nutzen Medien wie das Internet aktiv für die Verbreitung ihres Glaubens. Es gibt einen engen Kontakt zur katholischen Kirche in Polen, das hat schon historische Gründe. Weißrussland ist traditionell an Polen angegliedert gewesen. Und auch die Katholiken pflegen einen regen Austausch. Der beschränkt sich jedoch auf Religiöses und Privates. Über politische Fragen spricht man nicht. In den staatlich gelenkten Medien wird die Politik der Regierung verbreitet, Darüber hinaus wagt kaum jemand, politische Äußerungen öffentlich zu tätigen.

Große Hoffnungen setzen sie jungen Katholiken auf Papst Benedikt XVI. Schon Johannes Paul II. hatte angedeutet, dass er sich einen Besuch in Weißrussland vorstellen könnte, dazu ist es nicht mehr gekommen. Jetzt hoffen die Katholiken inständig, dass Benedikt XVI. kommt. Man ist außerdem auch sehr an einem Austausch mit deutschen Katholiken interessiert.

Markus Lahrmann ist Chefredakteur des Magazins "Caritas in NRW". In einem Interview mit dem Domradio in Köln berichtete er ausführlicher über seine Eindrücke zur katholischen Jugend in Belarus.

 

Im Mai 2009 informierte sich eine vierköpfige Delegation des PNJ in Minsk über „Möglichkeiten und Tendenzen der Jugendfreizeitgestaltung in Belarus“. Unsere Partner stellten ein spannendes und vielseitiges Programm zusammen, aus dem aber eindeutig ein Thema hervor stach: Das Treffen mit Roofern. Was es damit auf sich hat, und was es sonst zum Thema Jugend & Freizeit in Weißrussland zu sagen gibt, berichten unsere TeilnehmerInnen hier.


Achtung, Philosophen auf dem Dach! 
Text und Fotos von Franziska Benger

Einen schönen Ausblick hat man von hier oben. Wir stehen auf dem Dach einer Bauruine mitten in Minsk. Eigentlich sollte es einmal ein 10-geschossiges Parkhaus werden. Ein Gefühl von Freiheit weht uns um die Nase. Direkt unter uns stehen alte Straßenbahnen in ihrem Depot und in der Ferne sehen wir den Palast der Republik und den großen Boulevard der Unabhängigkeit. Die Sonne scheint ab und zu durch die Wolken auf die ungefähr dreißig jungen Menschen, die sich hier getroffen haben, um den ultimativen Kick zu suchen oder einfach um anderen dabei

zuzuschauen, wie sie sich alle zehn Minuten in die Tiefe stürzen.

 Alexej (22) ist einer der Leiter der Rope Jumping- Gruppe BeleXtreme. Leider kann er von dieser  Arbeit allein nicht leben, so dass er – wie viele  andere Belarussen auch – noch einen anderen  Job hat. Seit ein paar Jahren ist er dem Rope  Jumping verfallen und springt von Gebäuden,  Türmen und Brücken in Belarus sowie in anderen  Ländern. Ursprünglich, erzählt er, kommt diese  Sportart aus Amerika. Für ihn ist es jedoch nicht  nur Sport, sondern eher eine Lebensphilosophie.  Rope Jumping bringt Abwechslung in das Leben  und man beginnt die Welt mit anderen Augen zu sehen. Es geht ihnen – den Rope Jumpern – auch darum das Schicksal ein wenig auf die Probe zu stellen, und vor allem das tolle Gefühl, über die eigene Angst gesiegt zu haben.

 

In Minsk gibt es mehrere Gebäude, die sich für Rope Jumping eignen. Die Gruppe von BeleXtreme ist aber auch in ganz Belarus unterwegs. Ab und zu, räumt Alexej ein, kommt es bei einem Sprung natürlich zu kleineren Verletzungen, wie Abschürfungen oder andere Blessuren. Hin und wieder hatten sie auch schon Begegnungen mit der Polizei, die von besorgten Anwohnern herbeigerufen wurde. Vor allem ältere Menschen würden nicht verstehen, was sie da machen und deshalb die Polizei rufen, sagt Alexej. Und tatsächlich dauert es auch heute nicht lang bis die Polizei kommt.

 

Aber nicht nur die Rope Jumpers haben diese Bauruine als (fast) ungestörten Ort des Zusammenseins für sich entdeckt. Auch andere Jugendliche treffen wir hier an, wie  zum Beispiel die im Hip-Hop-Style gekleideten Viktor (15) und Dmitri (14). Beide wohnen in der Nähe und hängen hier gelegentlich ab. Sie beobachten gespannt die Rope Jumpers, sind aber selbst noch nicht gesprungen, da sie noch zu jung sind.

 

Die Dächer von Minsk sind auch unter den Studenten als Treffpunkt sehr beliebt. Einige Jugendliche suchen sich gezielt Dächer für ihre Treffen aus. Sie selbst bezeichnen sich als Roofers – wie Andrej, ein junger Minsker Student, der uns auf das „Dach der Welt“ – nein nicht in Tibet, sondern in Minsk – geführt hat. Er erzählt uns, dass die Idee der Roofers ursprünglich aus Russland kam, genauer gesagt aus Petersburg Mitte der 1990er Jahre. Sie selbst sehen sich, wie in Russland auch, als eine Subkultur. Für viele ist das Dach und der weite Himmel auch eine Art Philosophie und Inspirationsquelle.

 Auf das „Dach der Welt“ kommt Andrej öfters mit seinen  Freunden, um sich zu unterhalten und zu diskutieren.  Dächer üben einen besonderen Reiz auf ihn aus. Hier ist  es nicht so überlaufen, wie in den Parks und man kann  ungestört sein; man steht etwas über den Dingen, hat  Abstand zur Erde und ist dem Himmel näher. 
 
 Die Roofers sind keine organisierte Gruppe. Wenn er mit  seinen Freunden unterwegs ist, dann trifft Andrej immer  wieder neue Roofers auf den Dächern an. 
 
 Das "Dach der Welt", wie es in der Minsker-Szene  genannt wird, ist das schönste und bekannteste offene  Dach in Minsk, sagt Andrej. Seine runde Form mit der  Erhöhung in der Mitte eignet sich hervorragend für alle  möglichen Dinge. Viele Kunststudenten nutzen die  Bauruine als Motiv für ihre Fotoprojekte.


Das Dach ist auch ein Ort der lebendigen Kunst. Wir sehen viele Tags, Graffiti und Stencils (bzw. Schablonenkunst) an den Wänden der Bauruine. Die Künstler bleiben unbekannt, ist Streetart in Belarus doch eigentlich verboten und wird als Vandalismus eingestuft. Seit einiger Zeit finden aber hin und wieder Spray-Aktionen unter Aufsicht der Polizei an extra dafür freigegebenen Wandflächen in Belarus statt.

Roofer im Radio
Ein Beitrag von Klaus Jansen
Mit den Roofern hat sich der freie Journalist Klaus Jansen beschäftigt. In einem Beitrag für die Deutsche Welle berichtet er von dem gefährlichen Hobby der Minsker Jugendlichen.

Schlaflos in Minsk
Radiobeitrag von Andrea Halter
Die freie Journalistin Andrea Halter hat für den WDR-Sender 1live eine Reportagereihe unter dem Titel „Schlaflos in Minsk“ produziert. Die Beiträge sind hier eingestellt.

Die Informationsreise wurde gefördert von

 


 

 

 

 

 

 

 

Im Frühjahr 2008 konnten wir mit finanzieller Unterstützung der Robert Bosch Stiftung bzw. der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde ein bilaterales Journalistenseminar organisieren. Jeweils drei KollegInnen hielten sich für sechs Tage in Berlin bzw. Minsk auf und recherchierten in den Jugendszenen. Wir danken den beiden Organisationen vielmals für ihre Hilfe! Hier einige Berichte der Teilnehmenden.

Sturm und Drang auf Weißrussisch
- Junge Menschen aus Minsk erzählen über ihr Leben im Reich von Lukaschenko -

Vor kurzem griff er wieder durch. Mit aller Härte. Es war Ende März. Etwa Tausend Menschen protestierten in Minsk gegen sein Regime. Die Polizei kam und löste die Demonstration auf. Mit Gewalt. Zahlreiche Oppositionelle landeten hinter Gittern. Es sind solche Meldungen, die unser Bild von Weißrussland und seinem Machthaber prägen: Alexander Lukaschenko – der letzte Diktator Europas. Wer gegen ihn die Stimme erhebt, verliert seinen Job, wird exmatrikuliert oder muss ins Gefängnis.

 

Doch ein erheblicher Teil der Weißrussen vertraut dem Mann mit dem Schnurrbart. Die Lukaschenko-Zeit brachte ihnen bescheidenen Wohlstand. Auch bewahrte der seit 14 Jahren amtierende Präsident das Land vor dem post-sozialistischen Chaos mit dem der große Bruder Russland lange Zeit zu kämpfen hatte. Für viele bedeutet Lukaschenko daher Stabilität. Da werden Unfreiheiten wie zu Sowjetzeiten einfach akzeptiert. Zudem ist Lukaschenko ein moderner Diktator. Er wahrt den Schein einer Demokratie und unterdrückt subtil und unterschwellig: Aufmüpfige Musikgruppen erhalten keine Auftrittserlaubnis, aufsässige Journalisten keinen Zugang zu offiziellen Informationen. 

Sogar seine Kritiker müssen eingestehen, dass Lukaschenko auch bei einer freien Abstimmung eine Wiederwahl zum Präsidenten so gut wie sicher wäre. Die mangelnde Pressefreiheit sorgt dafür, dass ein Großteil der Bevölkerung mit einseitigen Informationen gefüttert wird. Im September soll in dem Land vor den Toren der EU ein neues Parlament gewählt werden. An Veränderungen glaubt so gut wie niemand. Fünf junge Weißrussen erzählen über ihr Leben in Lukaschenkos Reich und der Suche nach dem Glück:

Andrej, Sänger und Mitgründer der Metal-Folk-Band Litvin Troll (25 Jahre): „Weißrussen haben im Ausland ein ernstes Problem. Sobald sie über ihre Herkunft erzählen, nicken alle und sagen: ‚Ah, ihr kommt also aus Russland’. Dann muss man erstmal klarstellen, dass wir wie die Österreicher sind. Die sprechen zwar deutsch, sind aber keine Deutschen. Mit Litvin Troll waren wir auch schon im Ausland, aber bislang nur in Polen auf zwei, drei Festivals. Wir verbinden Heavy Metal mit mittelalterlicher Musik. Unser Name steht für Patriotismus und Mythologie. Litvin ist eine alte Bezeichnung für Weißrusse. Der Troll ist das Fabelwesen, das die Brutalität unserer Musik verkörpert. Patriotismus bedeutet für uns, dass wir auf weißrussisch und nicht auf russisch singen. Auch spielen wir nicht nur Gitarre und Schlagzeug, sondern auch traditionelle Instrumente wie den weißrussischen Dudelsack. 

Unsere Texte haben etwas märchenhaftes. Auf Live-Konzerten über menschenfressende Hexen und Trolle zu singen, ist aber Tabu. Das entspricht nicht den hiesigen Moralvorstellungen. Manchmal haben Clubbetreiber wegen unseres Musikstils auch Bedenken, uns auftreten zu lassen. Politische Texte machen wir aber nicht. Auch beteiligen wir uns nicht an regierungskritischen Demonstrationen. Litvin Troll arbeitet lieber an der kulturellen Front, ohne einen auf die Mütze zu bekommen. Rock ist schon eine Form von Protest. Weißrusslands Musikszene lässt sich in zwei Hälften teilen: Die Gehorsamen und die Ungehorsamen. Das gleiche gilt für das Radio: Früher gab es einen Sender, der hat nur Rock gespielt. Dann führte der Staat eine Quote ein. Demnach muss drei Viertel der Rundfunkmusik weißrussischer Herkunft sein. Wer sich nicht daran hält, wird verboten. Jetzt spielt der Sender fast den ganzen Tag Pop, weil hier gar nicht so viel Rock produziert wird. 

Um als Musiker hier Geld zu verdienen, musst Du einfach ins Format passen. Die Band NRM singt auf belarussisch und war auch politisch aktiv. Groß auftreten konnte sie selten. Doch die Gruppe verkaufte viele CDs und spielte dann auch auf einer Veranstaltung der Opposition. Da wurde der Staatsmacht mulmig. Also bekamen NRM und andere Musiker eine Vorladung zum Präsidenten. Der zuständige Minister sagte zu ihnen: Wenn ihr wollt, könnt ihr größere Konzerte geben, aber spielt nicht mehr auf den Kundgebungen der Opposition. Das sorgte für einen Skandal in den Fangemeinden. Bei einigen verloren die Musiker ihre Glaubwürdigkeit. Aber sie wussten nicht, worauf sie sich da einließen. 

Wir nehmen jetzt gerade unser erstes Album auf. Nebenbei jobbe ich noch in einem Verlag. Wir hoffen vor allem in Ländern wie der Ukraine, Russland und Lettland Geld zu verdienen. Für uns spielt die Musik im Ausland.“

Lena* (alle mit * gekennzeichneten Namen wurden von der Redaktion geändert), Journalistenschülerin (20 Jahre): „Ich besuche das dritte Jahr an der journalistischen Fakultät der Staatlichen Universität Minsk. Die Kurse sind sehr theoretisch. Ich wünschte, die Professoren würden mehr auf Praxis setzen. Am meisten lerne ich durch meine freie Mitarbeit bei einer Wochenzeitung. Sie heißt „Tourismus und Freizeit“. Vor kurzem habe ich einen relativ kritischen Beitrag über eine beliebte weißrussische Urlaubsregion geschrieben. Darin ging es um die schlechten Chancen für Kleinunternehmer, ins dortige Tourismusgeschäft einzusteigen. In der Gegend im Bezirk Wizebsk stehen nämlich nur staatliche Hotels. Ich zweifelte, ob meine Zeitung den Text drucken würde. Doch mein Chef winkte ihn durch, ohne Einwände. 

Kurz nach der Veröffentlichung kam dann aber ein Anruf von der Präsidialverwaltung: Meine Berichterstattung sei zu negativ, sagte der Beamte am Telefon. Er forderte mich auf, mich mit Kritik in Zukunft zurückzuhalten. Auch meine Interviewpartner bekamen solche Anrufe. Das zeigt, das größte Problem ist die Regierung. Viele haben Angst, ihren Mund zu weit auf zu machen. Deswegen blieben 2006 auch viele den Protesten auf dem Oktoberplatz fern. Einige meiner Freunde gingen trotzdem. Die Polizei nahm sie fest, sperrte sie ein und als sie wieder frei kamen, flogen sie von der Uni. Sie studieren jetzt in Prag und Moskau. Ich habe immer noch Kontakt zu ihnen. 

Aber noch mal zu meinem Artikel: Als ich nach einiger Zeit wieder nach Wizebsk fuhr, sah ich plötzlich Privatleute an Straßenecken stehen und Postkarten verkaufen. Das wäre vorher nicht möglich gewesen. Zudem hörte ich, dass die Zentralregierung grünes Licht für den Bau neuer Hotels gegeben hat. Auch soll es jetzt mehr Kneipen und sonstige Unterhaltung für Touristen geben. Ich bin mir sicher, dass mein Artikel zu diesem Wandel beigetragen hat. Das hat mir Mut gemacht. Natürlich ist es schwierig, kritische Texte zu veröffentlichen. Besonders bei Staatszeitungen. Dort herrscht Zensur. Ich habe einen Freund, der seine Position als Politikredakteur bei einem Regierungsblatt nach drei Jahren kündigte, weil er sich wie gefesselt fühlte. Ich glaube aber, dass man in unserem Land immer einen Weg findet, um einen Artikel zu veröffentlichen. Wenn es bei den Zeitungen nicht klappt, gibt es noch das Internet.“

Alexander, Softwareprogrammierer (Mitte Zwanzig): „Ich arbeite als Programmierer für ein US-Unternehmen. Wir sorgen hier in Minsk dafür, dass dort in Massachusetts mit der Software alles glatt läuft. Das nennt sich Offshoring. Die Amerikaner lagern den Arbeitsbereich aus und sparen Geld. Wir profitieren von höheren Gehältern: Wenn du als Programmierer für eine normales Ingenieurbüro in Minsk arbeitest, erhältst du zwischen 200 und 300 Euro im Monat. Im Offshore-Bereich sind die Löhne mindestens doppelt so hoch. Viel ist das trotzdem nicht. Die Mieten in Minsk sind teilweise so hoch wie in Berlin. 

Daher muss ich schauen, dass ich so schnell wie möglich einen neuen Job finde. Im Moment ist das schwierig. Weißrussische Studenten müssen nach der Uni erstmal zwei Jahre für staatliche Betriebe arbeiten. Du wirst einfach zugeteilt. Dafür ist die Uni kostenlos. Wenn du dich weigerst, den Job anzunehmen, kommen nachträglich hohe Studiengebühren auf dich zu. Meine zwei Jahre sind noch nicht ganz abgelaufen. Aber danach bin ich frei, mich woanders zu bewerben. Solange muss ich meine Kreativität noch am Schlagzeug ausleben. Ich spiele in einer Noise-Rock-Band. Der Musikstil ist alternativ, mit wenig Harmonien. Große Auftritte hatten wir noch nicht. Das ist eher ein Hobby. 

Um wirklich gute alternative Musik zu hören, fahren mein Kumpel Viktor und ich nach Russland. In St. Petersburg findet jährlich das „Skif“ statt. Das ist ein Festival zu Ehren von Sergej Kurjochin. Er war einer der ersten Jazz- und Avantgardemusiker in der Sowjetunion. Zu Konzerten nach Polen und Litauen fahren wir selten. Dazu sind die Visa der EU einfach zu teuer und zu schwierig zu bekommen. Weißrussland hat nur eine sehr kleine Szene für progressive Musik. Klar, ich kann mir alles im Internet herunterladen, aber richtig gute Live-Musik gibt es nur selten. Vor einiger Zeit hat das Goethe Institut in Minsk ein Festival für zeitgenössische Musik veranstaltet. Das war super. Solche Initiativen sind äußerst wichtig. 

Gerade habe ich gehört, dass der Präsident entschieden hat, dass bei jedem Musikkonzert erstmal eine Genehmigung eingeholt werden muss. Unfrei oder etwa eingeschüchtert fühle ich mich deswegen aber nicht. Es gibt eine ganz einfache Regel: Leg Dich nicht mit dem Staat an, dann legt sich der Staat auch nicht mit dir an.“


Stanislaw und Dascha sind Schüler des Gymnasiums No. 12 in Minsk. Beim Gespräch ist auch die Vize-Rektorin anwesend. Als es zu politisch wird, funkt sie dazwischen. „Darüber wollen wir jetzt nicht reden“, sagt sie mit Nachdruck. Über ihre Träume dürfen Stanislaw und Dascha aber sprechen. 

Stanislaw (18 Jahre): „Ich will Rockstar werden und irgendwann weltberühmt sein. Vor einem halben Jahr habe ich mit meinen Kumpels eine Band gegründet. Sie heißt „Underverse“. Der Name setzt sich aus den Worten „Universe“ und „Underground“ zusammen. Wir spielen Heavymetal, hartes Zeug, aber das mag ich. Ich bin der Frontmann, der Sänger. Meine Songs handeln nicht über die Liebe oder das Glück, sondern über den Tod, die Trauer und die Angst. Die Musik ist mein Ventil. Ohne sie müsste ich meinen Druck auf der Straße abbauen und mich mit anderen prügeln. 

Ich bin überzeugt, dass wir ganz groß raus kommen können. Der Weg zum Ruhm führt aber nur über das Ausland. Ich liebe mein Land und die weißrussische Sprache. Aber wir müssen berühmt werden und das geht nur mit englischen Texten. Nur so kann man uns auch in anderen Teilen Europas verstehen. Und da liegt die Zukunft. Ich hasse Russland. Die Russen denken nur daran, ihre Macht wie zu Sowjetzeiten wieder auf unser Land ausweiten können.“

Dascha (18 Jahre): „Ich will Filmregisseurin werden. Ich will Filme drehen, die Menschen vor Glück zum Weinen bringen, nicht aus Traurigkeit. Vorbilder habe ich eigentlich keine. Ich mag aber die Filme von Quentin Tarantino und Federico Fellini. Aber eigentlich will ich meinen eigenen Stil entwickeln, etwas Neues machen. Gerade habe ich meinen ersten Film gedreht. Es ist eine klassische Komödie mit Clowns in den Hauptrollen. Einen von ihnen spielt mein Schulfreund Slawa. Nach der Schule beschäftige ich mich auch mit der japanischen Kultur. Mein Traum ist es, irgendwann mal in das Land der aufgehenden Sonne zu reisen.“

Die Gespräche führte Nicholas Brautlecht
Junge Kultur im Lukaschenko-Land 
Radioreportage von Erik Albrecht

Im Weißrussland des Alexander Lukaschenko ist die Grenze zwischen Kultur und Politik fließend. Auftrittsverbote, Sittenzensur – jeder Künstler muss sein Verhältnis zur Staatsmacht definieren. Erik Albrecht  hat Lukaschenko kritische Musiker, Schauspieler und Tänzer in Minsk getroffen. Jeder hat seine eigenen Konsequenzen aus der politischen Situation im Land für seine Kunst gezogen.

Sie dürfen wieder spielen. Mehrere Jahre waren für die weißrussische Rockband Krambambulja und viele andere Gruppen alle größeren Konzertsäle im Land gesperrt. Frontsänger Ljawon Wolski hatte offen Präsident Alexander Lukaschenko kritisiert. Der revanchierte sich mit einem Auftrittsverbot. In der Folge spielten die berühmtesten Rockgruppen des Landes in Klubs, in denen kaum 40 Mann Platz haben – „eine anormale Situation“, musste schließlich selbst der Präsidentenberater für ideologische Fragen zugeben.  Und erklärte die geheimen „schwarzen Listen“ für abgeschafft. „Das gab einen Skandal. Viele Fans dachten, dass die Gruppen sie verraten hatten. Sie waren lange Zeit für ihre Meinung eingetreten, nahmen Verluste hin und waren weder auf Konzerten noch im Radio und Fernsehen aufgetreten, aber sie waren sich treu geblieben. Doch diese Gruppen sind keinen Kompromiss eingegangen.“

Der Erfolg hat ihnen Recht gegeben, zieht der Minsker Produzent Dmitri Sosnowski ein halbes Jahr nach dem Treffen Bilanz. Lukaschenko-kritische Lieder spielen sie nach wie vor. Nur auf Oppositionskundgebungen dürfen sie nicht mehr als Gruppe auftreten, so die Bedingung des Präsidenten.

Der Fall zeigt, wie angespannt das Verhältnis zwischen Politik und Kultur im autoritären Weißrussland von Alexander Lukaschenko ist. Der Grat zwischen politischer Angepasstheit und wirtschaftlichem Erfolg ist dünn. Jeder Künstler muss für sich selbst entscheiden, wo seine Grenze liegt: „Ich habe die Musiker nicht unterstützt, weil ich denke, dass man die Nähe der Staatsmacht nicht suchen sollte. Da wollten sich Leute innerhalb des Systems legalisieren. Ich will das nicht.“

Kasia Kamozkaja singt von ihrem Land, von Freiheit und von Jeans – seit Sowjetzeiten ein Symbol für die Unangepassten. Mittlerweile arbeitet die Musikerin vor allem als Dokumentarfilmerin.  „Wir haben ein Lied geschrieben „Präsident, geh heim!“ und aus irgendeinem Grund war er schwer beleidigt, dass er nach Hause gehen sollte. Das Lied wurde verboten und in der Folge auch die Gruppe und Konzerte. Aber Lieder sind ein Genre, das aufgeführt werden muss, sonst existiert es nicht.“

Probleme haben vor allem Rockmusiker. Während Popsänger auf den staatlichen und privaten Radiokanälen seichte Lieder von Liebe, Herzschmerz und Gefühlen trällern, geraten Rockbands immer wieder mit der Führung unter Lukaschenko in Konflikt: „Rock-Musik ist sozialer Protest. Reine Kunst ist unter den Bedingungen der Diktatur und Unfreiheit nicht möglich. Davon bin ich überzeugt. Selbst wenn jemand auf Weißrussisch redet, ist das schon ein Politikum und ein Ausdruck des Protests in unserer Situation.“

Weißrussisch – die Sprache der Opposition. Präsident Lukaschenko beherrscht die in der Sowjetunion unterdrückte Sprache kaum. Deshalb spreche seine Gegner gezielt Weißrussisch. So auch die Jungs von Liwintroll. Sie spielen Mittelalter-Rock  – auch wenn ihre Texte apolitisch sind, positionieren sich Sergej Traptschewski und Andrej Apanowitsch schon allein durch die Sprache:  „Wir gehen nicht auf Demonstrationen, sondern wirken an der kulturellen Front. Das ist sinnvoller, als einfach eins über den Schädel zu bekommen und danach im Krankenhaus zu liegen.“

Die von Sosnowski produzierte Gruppe hat vor allem wegen angeblich verwerflicher Texte Probleme mit den Behörden. Die haben kein Verständnis für dunkle Mittelalter-Mystik, in der der Teufel aus schon mal Ritterschädeln Bier trinkt. Auch das plastische Tanztheater von Wjatscheslaw Inosemzew hat schon Probleme mit den Behörden gehabt. In einem Stück tanzte Inosemzew zum Schluss drei Minuten nackt auf der Bühne. Ein Anruf bei der Theaterdirektion genügte zur Absetzung des Stücks. Telefonrecht heißt das in Weißrussland.

Auch Inosemzew sieht die derzeitige Lage in Weißrussland kritisch. Doch sein Tanz soll viel mehr ausdrücken, als einfach politische Unzufriedenheit: „Für mich liegt die Idee im Aufeinanderstoßen von Körper und Raum. Wenn es da eine interessante Wechselbeziehung gibt, sehe ich darin großes Potenzial. Und ich möchte gar nicht genau verstehen, worum es geht – um Politik oder Geschichte oder um zwischenmenschliche Beziehungen. Das schadet manchmal nur.“ 

Selbst ein so vermeintlich eindeutiges Symbol wie ein Eiserner Vorhang wird den Künstler auf der Bühne zu einem Ausdruck menschlicher Beschränktheit. Schon bei Hamlet heiße es, die ganze Welt sei ein Gefängnis, so Inosemzew. Anders das Freie Theater. Seine Stücke handeln von Protest, Gefängnisfolter, Freiheitsliebe. Gespielt wird oft in einfachen Wohnungen oder im Ausland. Im vergangenen Jahr nahm die Polizei bei einer Premiere in Minsk das komplette Ensemble samt Publikum fest.  

Kasia Kamozkaja findet als Dokumentarfilmerin dagegen Filme mit klarer politischer Aussage langweilig. Was soll man den Leuten erzählen, es ist doch eh alles klar, sagt sie. Stattdessen wählt sie Tschernobyl, die weißrussische Sprache oder den Zweiten Weltkrieg als Themen.  „Lukaschenko ist nicht ganz Belarus. Hier existiert ein völlig anderes Land mit reicher Geschichte, großer Kultur, Philosophie. Der Westen setzt Weißrussland oft mit Lukaschenko gleich. Das stimmt nicht und das ist das Wichtigste, was ich mit meinen Liedern und Filmen aussagen will.“

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Im Jahr 2005 fuhren wir für eine Woche zu Recherchen rund um das Thema Jugend nach Belarus. Hier ein Bericht von Volker ter Haseborg von der AZ München.

Kluge Köpfe unter der Knute – Studentenleben in Weißrussland

Weißrusslands Diktator Lukaschenko nutzt die Armut seiner Studenten und fesselt sie mit staatlichen Zuschüssen an ihr Heimatland. So wie Katarina, Boris und Olga aus Minsk. Sie leben am Existenzminimum, rackern, um ihr Stipendium zu behalten und können es sich nicht leisten, abends ein Bier trinken zu gehen. Sind sie fertig mit dem Studium, zwingt sie der Staat in landeseigene Betriebe, wo sie miserabel bezahlt werden.

Katarina Ionikowa ist das, was man an deutschen Universitäten wohl anerkennend als Überfliegerin bezeichnen würde. Die zierliche 23-Jährige studiert Deutsch und Englisch auf Lehramt und wurde bisher mehrmals für ihre hervorragenden Leistungen ausgezeichnet. Sie trinkt keinen Alkohol, geht fast nie in die Disko. An Wochenenden bereitet sie bis tief in die Nacht ihre Unterrichtsstunden vor, die sie im Rahmen ihres viermonatigen Pflicht-Praktikums an einer Schule in Minsk geben muss.

In Deutschland würde Katarina, die aus einfachen Verhältnissen stammt, von der Studienstiftung des Deutschen Volkes unterstützt werden. Sie könnte sich ein Zimmer in einer WG leisten. Wenn sie fertig mit ihrem Studium wäre, könnte sie sich ihren Arbeitsplatz aussuchen.

Doch Katarina lebt in Weißrussland. Ihre berufliche Zukunft hat sie nicht selbst in der Hand: „Wenn ich fertig bin, wird mir der Staat vorschreiben, wo ich zu arbeiten habe“, sagt sie.

Mit aller Macht versucht Weißrusslands Diktator Alexander Lukaschenko die junge Bildungselite daran zu hindern, ins Ausland auszuwandern. Viele Eltern können es sich einfach nicht leisten, ihren Kindern ein Studium zu ermöglichen. Das Heimat-Projekt Lukaschenkos setzt bei dieser finanziellen Notlage an: Die 100.000 besten Studenten des Landes werden mit Stipendien an ihr Heimatland gebunden. Die Bedingung für den Bildungs-Zuschuss: Wenn die Studenten fertig sind, müssen sie für mehrere Jahre eine staatliche Stelle annehmen.

 

Auch der Weg ins Ausland ist ihnen versperrt. Studien-Absolventen, die ein Stipendium vom Staat erhalten haben, bekommen keine Ausreiseerlaubnis, so der Beschluss von Lukaschenko. Auch während des Studiums sind Auslandsaufenthalte nur erlaubt, wenn das Bildungsministerium die Erlaubnis dazu gibt. Außerdem gibt es im Bildungsministerium schwarze Listen: Wer als abwanderungswillig gilt, braucht erst gar keinen Antrag auf ein Auslandssemester zu stellen. Nur linientreuen Studenten wird ein Besuch im kapitalistischen Westen genehmigt. Ein „brain drain“ wie in den 90er Jahren, als viele Studenten das wirtschaftsschwache Land verließen, soll mit aller staatlichen Macht verhindert werden.

 

Katarina hat bereits nach der neunten Klasse den Weg zum Lehrerberuf eingeschlagen. Sie besuchte ein pädagogisches College und studierte danach fünf Jahre an der Pädagogischen Universität in Minsk. Ein Studienplatzwechsel ist nicht drin: „Ich würde jetzt viel lieber Dolmetscherin werden, doch das darf ich nicht“, sagt sie.

 

Umgerechnet 45 Euro bekommt sie im Monat vom Staat. Davon kann sie gerade mal leben und ihrer Tante, bei der sie wohnt, ein bisschen Miete zahlen. „Alleine wohnen ist völlig ausgeschlossen. Die Kaltmiete für eine Ein-Zimmer-Wohnung in Minsk beträgt 175 Euro“, meint sie. So wie deutsche Studenten nachts durch die Bars ziehen, das kann sich Katarina nicht vorstellen. Sie hat einfach nicht das Geld dazu. Wenn sie im nächsten Jahr als Lehrerin anfängt, wird sie 75 Euro im Monat verdienen. Nach zehn Berufsjahren werden es 200 Euro sein.

Olga Ptscholkina will unbedingt nach Deutschland. Sie studiert an der Staatlichen Linguistischen Universität in Minsk Deutsch. Eigentlich würde sich ein Auslandsaufenthalt in Deutschland anbieten. Doch an der Uni hat man ihr gesagt, dass daraus nichts wird. Man hat andere Pläne: Olga soll – wenn sie fertig ist – für den Staat als Dolmetscherin arbeiten.

 

45 Euro im Monat kriegt Olga. „50 Euro bräuchte ich, um Lebensmittel zu bezahlen“, sagt sie. Die 20-Jährige verdient dazu: Sie gibt weißrussischen Schülern Deutsch-Unterricht – für zwei Euro die Stunde. Weil ihre Eltern in einer anderen Stadt leben, wohnt sie im Studentenwohnheim. Zum Preis von sechs Euro im Monat lebt sie auf einem Flur mit 15 Wohnungen, in denen jeweils 4 Mädchen in einem Zimmer wohnen. Besucher müssen um null Uhr raus, schließlich brauchen die Studenten ihren Schlaf, um am nächsten Tag wieder Top-Leistungen zu bringen. Sonst ist das Stipendium futsch.

 

Boris Dzevenski ist schon fertig mit dem Studium. Er hat Informatik studiert und ist jetzt Programmierer – ein Traumjob in Weißrussland. An den Universitäten kämpfen vier Bewerber um einen Studienplatz. Boris’ Monatsgehalt: 100 Euro. Boris arbeitet in einem staatlichen Berufsberatungszentrum und schreibt die Programme, mit denen Schüler herausfinden sollen, welcher Beruf für sie passt. Weil er während seines Studiums monatlich 50 Euro Zuschuss bekommen hat, muss er seine Arbeitskraft dem Staat widmen.

 

Doch Boris hat sich mit seiner Situation abgefunden: „Klar, es gibt interessantere und besser bezahltere Jobs. Aber ich bin zufrieden.“ Er ist schon verheiratet, und wenn er und seine Frau gemeinsame Kasse machen, reicht es zum Leben. Auch, wenn er insgesamt weniger Geld hat, als während seines Studiums.

 

400 Euro, das ist in den Augen von Boris das Topgehalt, das er mal bekommen kann. „Ich möchte mal Manager von einem IT-Projekt sein, das meinem Land hilft“, sagt der 23-Jährige.

Dass die Regierung behauptet, es gebe keine Jugendarbeitslosigkeit in Weißrussland, findet Boris verlogen. Von dem kärglichen Lohn, den der Staat seinen Elite-Studenten zahlt, können die wenigsten leben und müssen heimlich dazuverdienen. „Das, was wir hier haben, ist versteckte Arbeitslosigkeit“, kritisiert Boris.

 

Wer wissen will, warum es kein Entkommen aus diesem System gibt, sollte das „Zentrum der beruflichen Orientierung in Weißrussland“ in Minsk besuchen. Dort werden die staatlichen Berufsberater ausgebildet. Nach der Klimow-Typologie aus besten Sowjet-Zeiten werden die Schüler an allen Schulen in fünf Typen gepresst: Mensch-Mensch, Mensch-Technik, Mensch-Natur, Mensch-Kunst und Mensch-Zeichensystem. „Jeder Absolvent hat das Recht, einen Arbeitsplatz zu bekommen“, meint der Direktor des Zentrums, Lyah Valentin Vikentiwitsch. Zwei Stunden Berufsberatung müssen reichen – dann steht der Beruf fest. Nein, arbeitslose Jugendliche gebe es in Weißrussland nicht. „Ich kenne keine“, meint Vikentiwitsch. Jeder wird später mal einen Arbeitsplatz kriegen. Der Staat bestimmt, wo.

Volker ter Haseborg (2005)