Erfahrungsberichte

Mazedonien - weißer Fleck auf der Landkarte der Deutschen

Ein erster Einblick in die Gesellschaft und in die Situation der Jugend des Landes

Prolog

Elf Jahre lang regierte die Partei VMRO-DPMNE konservativ, sich immer mehr von den Menschen entfernend und mit einem dramatischen Realitätsverlust. Jegliche Form von Opposition wurde unterdrückt, stattdessen sollte ab ca. 2010 unter dem Titel „Skopje 2014“ ein Re-Nationalisierungsprogramm in Form von unsäglichen Bau- und Kunstwerken verdecken, dass es mit dem Land immer weiter bergab ging. An alte Fassaden wurden Stuckelemente geklatscht, an jeder Ecke stehen vermeintliche Heldenfiguren mit Schwertern und Muskelpaketen bepackt. Geschätzte 700 Millionen Euro kostete dieser „Kitsch“, wie er bald genannt wurde, und sehr schnell zeigte sich, dass auch hier die allgegenwärtige Korruption ihre Spuren hinterließ: Schon heute schimmelt der Putz an den Wänden, und an den Heldendenkmälern bröselt die Patina. Und so wird sehr schnell sichtbar, was sich nicht leugnen lässt: Mazedonien ist ein Armenhaus. Ein Drittel der Menschen lebt buchstäblich in Armut, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 60 Prozent, das Bildungs- und das Gesundheitssystem sind völlig veraltet und so marode wie der öffentliche Dienst, in den es dennoch alle arbeitsfähigen Menschen zieht, weil hier wenigstens der Lohn meist pünktlich gezahlt wird. Die Straßen sind voller Schlaglöcher, darüber rumpeln rote Doppeldecker aus chinesischer Produktion.
 
Nur zwei Lichtblicke gibt es für die Bewohner Mazedoniens: 2017 wurde trotz handfestem Wahlbetrug die alte Regierung hinweg gefegt. Ex-Premier Nikola Gruevski zog es daher vor, bei seinem Gesinnungsgenossen Viktor Orban in Ungarn Asyl zu beantragen. Und in Kürze soll der Staatsname so umgeändert werden, dass das Nachbarland Griechenland keine Einwände mehr erheben kann, das mit seiner nördlichsten Provinz Makedonien ebenfalls Anspruch auf das historische Erbe von Alexander dem Großen erhebt. Damit wäre der Weg Mazedoniens frei für Beitrittsgespräche mit der EU und für einen Eintritt in die Nato. Von beidem versprechen sich die Menschen in Mazedonien beinahe himmlische Erlösungen.

 

Die PNJ-Partnerorganisation Youth Alliance Krusevo

Die Youth Alliance Krusevo YAK ist eine lokale NGO mit Sitz in der West-Mazedonischen Stadt Krusevo und einem Büro in Skopje. Eines der wichtigsten Credos der NGO ist, dass alle politische Veränderung in lokalen Initiativen beginnen und sich dann über das Land fortsetzen muss. „Be a voice not an echo“ ist das Schlagwort dazu. Entsprechend liegen die wichtigsten Aktivitäten auf der Förderung bzw. Durchführung von kleinen Veranstaltungen, mit denen sie Partizipationsbemühungen junger Menschen unterstützen.

Inspiration und Vernetzung holt sich die YAK durch eine jährliche Regionalkonferenz mit gleichgesinnten NGOs aus anderen Balkanländern, inzwischen nehmen auch Vereine und Organisationen aus anderen europäischen und lateinamerikanischen Staaten teil. Ziel ist immer, neue Ansätze zu finden und entwickeln, mit denen junge Menschen aktiven Einfluss auf die Lokalpolitik ihrer Region nehmen können.

Partizipation ist dabei natürlich ein Zauberwort, denn aktive Beteiligung am politischen und sozialen Leben sind eine Seltenheit in Mazedonien. „Wir leben in vielerlei Hinsicht in Balkan-Traditionen“, sagt YAK-Programmkoordinatorin Biljana Stojceska. „Das ist zwar nett und schön, aber es bedeutet auch, dass junge Menschen nichts zu sagen haben, nicht gehört werden. Kritisches Denken wird einfach nicht gefördert.“ Die Aktion „jugendfreundliche Stadt“, die die YAK ins Leben gerufen hat, soll hier Abhilfe schaffen und junge Menschen ermutigen, sich in ihrer Gemeinde aktiv einzumischen und so darauf hinwirken, dass mehr Jugendpartizipation in die Entscheidungen der Stadtverwaltungen fallen. Die Schulung von Jugendräten ist ein zentraler Arbeitsbereich.

 

Ein weiterer regionaler Schwerpunkt liegt auf einer neuen Kooperation mit Griechenland. Da das Land seit seiner Gründung in einer zwischenstaatlichen Kontroverse mit Griechenland liegt, das um die Namensrechte seiner gleichnamigen nordgriechischen Provinz fürchtet, haben sich im Laufe der Jahre auch Kontroversen zwischen den Menschen beider Ländern entwickelt. „Da ist oft Hass im Spiel, obwohl viel zu wenig Menschen direkt etwas mit Menschen im anderen Land zu tun haben“, sagt die Managerin der YAK. Der neue Austausch soll das ändern.

Ein weiterer Baustein der YAK-Arbeit ist die Förderung von „social entrepreneurship“. Hintergrund: Viele junge Menschen streben eine (akademische) Ausbildung an, die ihnen früher oder später einen Job in einer Behörde sichert. Arbeit im öffentlichen Dienst ist nach wie vor der Traumjob viel zu vieler Menschen. Andererseits haben viele junge Menschen ein enormes Potential, und die Gesellschaft braucht dringend gut ausgebildete, engagierte Jungunternehmer. Hier greifen die YAK-Aktivitäten ein, die mit bislang 20 Projekten jungen Menschen Unterstützung beim Aufbau eigener Betriebe geben. Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 60 Prozent ist dieser Ansatz sicherlich mehr als nötig und förderungswürdig.

Last not least gibt es bei YAK noch die Kampagne Sport als Integrationsmittel. Behinderte Menschen führen in Mazedonien ein sehr abgeschottetes Leben, das sich fast nur in der Familie vollzieht. Mit der Aktion lockt YAK vor allem geistig behinderte Menschen aus dieser Isolation und bringt sie mit Gleichaltrigen zusammen. „Beim Fußball, beim Basketball oder bei Pingpong sind wir alle nur Menschen – egal welche Behinderung wir haben“, sagt Biljana. Und plötzlich können diese Menschen zumindest ein Stückweit auch im öffentlichen Leben teilnehmen.

 

Civil – die Zivilgesellschaft vor der Politik schützen

Enge Büroräume in einem Hinterhof-Gebäude. Überall liegen Papierstapel, dazwischen kann man alte Friedensplakate erkennen, es riecht nach abgestandenem Zigarettenrauch wie einem Asta-Büro der 80er Jahre. Das ist Civil, die älteste und bekannteste Menschenrechts- und Friedensgesellschaft in Mazedonien. Vorsitzender ist der Journalist Jabir Derala, der schon bei der Gründung des Vereins im Jahr 1999 dabei war, als sich enttäuschte Publizisten, Menschenrechtler und Intellektuelle zusammen taten, um Civil aus der Taufe zu heben. „Zunächst ging es uns nur um Menschen- und Freiheitsrechte, aber dann kam zwangsläufig durch den Krieg 2001 auch das Friedensthema dazu.“

Waffenbesitz setzt eigentlich ein kompliziertes Verfahren voraus, aber durch die langen bewaffneten Konflikte in der Balkanregion sind nach wie vor so viele Waffen im Umlauf, dass es leicht ist, sich eine Pistole zu beschaffen. „Es ist wie so oft: Wir sind ein ziemlich groteskes Volk. Es gibt viele tolle Gesetze, die eigentlich eine sehr schön funktionierende Gesellschaft garantieren könnten. Aber keiner hält sich daran“, sagt Derala mit tiefer sonorer Stimme.

Heute versteht sich Civil vor allem als Thinktank, in dem Experten vieler Fachrichtungen, Künstler, linke Aktivisten und Intellektuelle sich um alle erdenklichen Probleme der Gesellschaft kümmern. Gender- und LGBT-Themen zählen genauso dazu wie Umweltthemen oder nach wie vor Menschenrechte und Friedensthemen. Was zum nächsten Schwerpunkt führt, dem Aktionismus: Wann auch immer im Land ein Missstand auftritt, kann ein 15-köpfiges Entscheidungsgremium einen Entschluss festlegen und einen Aktionsplan entwickeln, der von Aktivistengruppen überall im Land umgesetzt werden kann.

 

Es ist ein wenig ruhiger geworden im Land, man kann sich um grundlegende Dinge kümmern, seit 2017 nach turbulenten Neuwahlen die bisherige korrupte und völlig inakzeptable inkompetente Regierung ablöste und zur Flucht des ehemaligen Präsidenten nach Ungarn führte, wo er unter der Obhut von Viktor Orban Asyl erhielt – „eine Farce und ein lächerliches Vorgehen“, wie Besucher in Mazedonien von ausnahmslos jedem kritischen Bürger erfährt. Allerdings unter der alten Regierung, die mit rigoroser Härte und ohne Rücksicht auf Menschenrechte die Opposition verfolgte, ging es auch den Civil-Aktivisten schlecht. „Es gab Tage, an denen wurde ich drei Mal von der Polizei verprügelt und dann grundlos verhaftet“, erzählt Derala.

Ob sich die Opfer gelohnt haben? Ja schon – aber: Die neue sozialdemokratische Regierung packe zwar viele Missstände an, aber sie beseitige nicht grundsätzlich die Probleme, die von der Wurzel an gelöst werden müssten. Alte Seilschaften, so Derala, halten noch viel Macht und damit auch viele Medien in den Händen, die Armut ist nach wie vor ein ungelöstes Grundproblem, und das Bildungssystem gilt genau wie das Gesundheitssystem als katastrophal.

Als Folge davon wandern immer mehr junge Menschen aus dem Land aus. Der Braindrain ist ein omnipräsentes Thema, das alle Gesprächspartner unisono als DAS Problem des Landes schlechthin bezeichnen. „Es gibt hier keine Zukunft, wenn wir nicht sehr schnell mit Beitrittsverhandlungen zur EU beginnen und dann auch sehr schnell Mitglied werden.“ Natürlich, erklärt auch Derala, „denken viele Mazedonier, die Nato wird uns beschützen, und die EU wird uns durchfüttern“, aber so naiv sind die meisten nicht. Aber als Strohhalm der Hoffnung gilt der EU-Beitritt auf jeden Fall.

Hinzu kommt, dass Russland immer mehr versucht, Einfluss im Land zu gewinnen. Russische Firmen kaufen Unternehmen und Medien, Fakenews aus russischer Feder überfluten die Sozialen Medien, und wie von Zauberhand erhalten ultranationalistische Organisationen hohe Finanzierungen. Deshalb ruht die Hoffnung breiter Schichten des mazedonischen Volkes auf Deutschland. „Ihr habt hier – anders als Frankreich, Italien oder Griechenland keine offensichtlichen Kapital-Interessen“, erklärt der Civic-Chef. Deshalb ist der Einsatz Deutschlands in den Beitrittsgesprächen für das Land so wichtig und wird selbst von linken Politikern mit Blick auf die konservativen Parteien in Deutschland als sehr hoffnungsvoll betrachtet.

 

Blazhen Maleski, Präsident des Nationalen Jugendrates von Mazedonien

Der Mann ist 26 Jahre alt, gutaussehend und spricht fließend Deutsch, da er in Wien aufgewachsen ist und in Potsdam ein Freiwilliges Europäisches Jahr absolviert hat. Er arbeitet als Forscher in einer NGO, die sich mit Jugendthemen beschäftigt und führt ehrenamtlich den Nationalen Jugendrat. Diesem Rat gehören Jugendringe an wie die Pfadfinder, das Jugendrotkreuz, Gewerkschaften und 43 andere größere Verbände. Zur Erläuterung: Eine Jugendorganisation muss zu mindestens 60 Prozent aus Jugendlichen bestehen, eine Organisation für Jugendliche darf auch mehr ältere Mitglieder in der Führungsriege haben.

Der Nationale Jugendrat ist erst seit fünf Jahren aktiv, und natürlich hat er sich schon europäisch vernetzt. Kürzlich nahm Blaszhen an einer Versammlung des DBJR teil und meint dazu nur: „Gute Güte, über solche Probleme wie die haben, denken wir noch gar nicht nach.“ Im mazedonischen JR dreht sich alles um lokale Themen, politische Aktivitäten sind vorläufig noch ziemlich tabu. „Das hängt auch damit zusammen, dass Jugendliche von der Politik weitgehend enttäuscht sind. Politik hat einen schlechten Ruf, und entsprechend lassen sich junge Menschen kaum dazu motivieren, politische Statements oder gar Aktionen zu initiieren.“

„Im Moment füllen Jugendorganisationen und solche, die sich um Jugendliche kümmern die Löcher, die Politiker aufgerissen haben“, nennt Blazhen das Problem. Dazu gehören außerschulische Bildungsprogramme, weil das Bildungssystem ein Desaster ist. Debattierclubs, Jugendmedien, Entwicklung und Förderung von Jugendkulturen sind nur einige Probleme, die er anspricht. Im ganzen Land gibt es nur sechs Jugendzentren.

 

Wer sollte sie auch füllen? Die Jugend sei weitgehend apathisch, weil sie staatliche Angebote gar nicht mehr kennt. „50 Prozent der Jugendlichen sind schon ausgewandert oder sie planen ganz konkret an ihrem Exodus“ – wozu sich noch im Land engagieren? Ganz zu schweigen von dem Problem der Ethnien, die mehr neben- als miteinander leben. Die 20 Prozent Albaner, die in Mazedonien leben, haben kaum Kontakt zur mazedonischen Ur-Bevölkerung. Selbst die Schulen sind oft getrennt, oder es gibt getrennte Eingänge. Es ist inzwischen eine ungeschriebene aber weitgehend praktizierte Politik nach dem Scheitern des multiethnischen Staates, dass die Volksgruppen mehr getrennt als gemeinsam leben. Die jungen Albaner sind – mehr noch als ihre mazedonischen Altersgenossen – eine Auswanderergeneration. Überall in Europa gibt es inzwischen albanische Communities, in dieser Diaspora können die jungen Leute sporadisch immer ganz gut leben, Geld verdienen und dann weiter ziehen.

All das eröffnet dem Jugendrat ein breites Betätigungsfeld, das auch mit viel außerstaatlicher Hilfe kaum zu bewältigen ist. Wen wundert’s: Eine staatliche Jugendförderung gibt es so gut wie gar nicht. Geld fließt von einigen ausländischen Botschaften wie der deutschen aber auch aus dem amerikanischen Entwicklungshilfetopf USAID oder aus EU-Programmen. „Wir brauchen Visionen“ sagt Blazhen, der trotz der deprimierenden Situation einen erstaunlich fröhlichen Eindruck macht. Da ist allem voran der Bedarf an sehr viel mehr staatlichen Geldern, die den Jugendlichen signalisieren: Wir kümmern uns um Euch, also bleibt bitte hier im Land. Dann muss das marode Bildungssystem von Grund auf saniert werden, Jugendzentren müssen entstehen – „und bei alle dem müssen wir die Jugendlichen in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Denn es soll eine Politik entstehen, die genau auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist.“

 

Ivana Tufegdzic – Jungpolitikerin mit Blick auf die Jugend

Das Parlament von Mazedonien will einen klassizistischen Eindruck erwecken, aber das gelingt nicht ganz. Der Einlass für Besucher ist an einem Seiteneingang, ein Pförtner achtet darauf, dass alle Rucksäcke auf den Scanner gelegt werden – was sich in den Taschen befindet, interessiert ihn dann schon nicht mehr. Aber die Gästeliste muss gewissenhaft abgehakt werden. Ein Schild weist darauf hin, dass Schusswaffen vor Betreten des Parlaments angemeldet werden müssen.

Beeindruckt von den laxen Empfangsritualen wird das Treffen mit Ivana Tufegdzic, die den jungen Club von Abgeordneten im mazedonischen Parlament leitet, dann auch eine interessante Begegnung. Während des sehr offenen Gesprächs erläutert die Abgeordnete, dass der Club seit 2017 besteht, dass ihm Abgeordnete aller Parteien angehören, und dass darin alle erdenklichen Fragen rund um das Thema Jugend in Mazedonien erörtert werden. Da kein eigenes Jugendgesetz existiert, sind sich die Abgeordneten in der Einschätzung einig, dass das Parlament dringend viele Aktivitäten in alle erdenklichen Richtungen einleiten muss, um den Ansprüchen der Jugend des Landes gerecht zu werden. Ob Genderfragen, LGBT oder Jugendarbeitslosigkeit: In mehreren Arbeitsgruppen leiten die Abgeordneten Schritte ein, die „zu schmerzhaften Reformen“ führen müssen. Denn darin sind sich alle einig: Man muss der Jugend mehr bieten, um den dramatischen Braindrain aus dem Land zu stoppen.

 

Dabei ist man sich im Land einig, dass die Abwanderung der jungen Menschen nicht nur aus ökonomischen Gründen stattfindet. „Es gibt kein Vertrauen in die Institutionen, wir haben viel zu wenig bezahlbaren und menschenwürdigen Wohnraum, und natürlich fehlt auch ein kulturelles Umfeld, das Menschen hier halten könnte“, sagt die Abgeordnete. Und die Medien müssen der Jugend mehr Raum zugestehen, damit die jungen Menschen, dass ihre Interessen und Anliegen von der Öffentlichkeit ernst genommen werden.

Eine der wichtigsten – und bislang niemals praktizierten – Maßnahmen ist, die Jugendlichen selbst in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Partizipation soll ein Zauberwort werden. Jugendministerium hingegen wird kein Zauberwort, denn das steht bislang trotz aller Reformbedürfnisse nicht zur Diskussion. Vielmehr sollen die Kommunen und Regionen die Kontakte mit den jungen Menschen herstellen und die nötigen Prozesse entwickeln. „Dass unsere jungen Menschen das Potential haben, etwas im Land zu verändern, haben sie bewiesen. Die Proteste von 2015/16 sind maßgeblich von Jugendlichen mitgetragen worden.

 

Youth Educational Forums und Radio MOF – Aktive Bürger retten das marode Bildungssystem

Das Youth Educational Forum (YEF) ist eine Jugendorganisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Raum für Debatten und freie Meinungsäußerung in Mazedonien zu schaffen, Aktivismus anzuregen und Jugendrechte sowie Jugendpolitik zu fördern. Dies soll vor allem durch Workshops, Informationsveranstaltungen, Kooperationen und durch die Unterstützung junger Mazedonier geschehen. Die Organisatoren erklären während unseres Besuchs vor Ort, dass kritisches Denken und ein Verständnis von Demokratie an den Schulen des Landes nicht ausreichen gefördert werden, sodass zusätzliche Initiativen von der Zivilbevölkerung notwendig seien. So wurde YEF im Juni 1999 als nichtstaatliche, gemeinnützige Organisation gegründet. Inzwischen sind mehrere Zentren in acht Städten in Mazedonien Teil der Organisation. Zu den Aktivitäten gehören Theateraufführungen, Projekte zu Themen wie Braindrain, Bildungspolitik und Forschung, Konfliktlösung, Jugendaktivismus und Straßenrechts- sowie Studentenprogramme. Die Programme richten sich an Jugendliche im Alter von 14 bis 20 Jahren. Mittlerweile hat YEF ungefähr 500 Mitglieder. Finanziert werden die Festangestellten (ca. 20 Personen, die alle unterschiedliche Projekte durchführen) und deren Projekte hauptsächlich durch Förderungen der Europäischen Kommission und der US-amerikanischen Botschaft.

Seit 2011 gibt es das Radio MOF, das einzige kritische Medium für junge Menschen in Mazedonien. Die Mitglieder arbeiten in den Bereichen Koordination und Technik oder als Journalisten. Zum Programm gehören hauptsächlich Nachrichten. Freiwillige liefern darüber hinaus diverse Musikinhalte. Daneben gibt es aber auch Shows zu unterschiedlichen Themen wie Entrepreneurship, LGBT oder Podcasts. Grundsätzlich stehen immer Themen im Vordergrund, die mazedonische Jugendliche betreffen. So geht es vor allem um die Lebenswirklichkeit junger Mazedonier und die Probleme in dem Balkanstaat (zum Beispiel Arbeitslosigkeit und Gesundheitsvorsorge). Unter der vorherigen Regierung stand das Radio unter Beobachtung, erfuhr über einen Zeitraum von sechs Monaten ständige schikanöse Kontrollen und musste immer wieder umfangreiche Dokumentationen vorlegen, was den Betrieb und Arbeitsalltag deutlich erschwerte. Unter der neuen der Regierung sei aktuell ein normaler Arbeitsalltag möglich, sagen die Organisatoren des Radios.

 

Die Mission von YEF besteht darin, den Jugendlichen aber auch den Eltern und Lehrern Möglichkeiten zu bieten, aktiv an öffentlichen Diskussionen teilzunehmen und so zur Errichtung einer offenen und demokratischen Gesellschaft beizutragen. Zusätzlich steht auch die Verbesserung des Lebensstandards im Vordergrund.

 

Die  Friedrich-Ebert-Stiftung in Skopje – Förderung der Zivilgesellschaft

Das FES-Büro in Skopje existiert seit 1996, Leiterin Eva Ellereit ist seit 2018 Vorort. Sie berichtet unserer Gästegruppe, dass die Projekte der FES vielfältig seien, dass die FES dabei selten alleine agiere, sondern in der Regel zusammen mit lokalen Partnern (NGOs, zivilgesellschaftliche Akteure, Regierung).

In der letzten Zeit nahm Ellereit ein erhöhtes Interesse an Mazedonien wahr und vermehrt Besuche aus Deutschland. Lange Zeit sei das Land (sowie der gesamte Balkan) aus deutscher Sicht ein „weißer Fleck“ auf der Karte gewesen. Umgekehrt gilt das überhaupt nicht: Deutschland habe große Bedeutung für Mazedonien: Viele Mazedonier wollen dorthin auswandern, viele lernen beim Goethe Institut auf hohem Niveau Deutsch.

FES-Mitarbeiterin Nita Starova berichtet, dass ein Großteil junger Mazedonier die Ausreise aus dem Land plane oder sich bereits im Prozess der Emigration befinde. Deutschland stehe dabei auf der Wunschliste ganz oben. Das ergab eine kürzlich durchgeführte FES-Jugendstudie. Sogar die Studien- und Berufswahl junger Mazedonier werde vom Wunsch nach Emigration beeinflusst. Man richte sich u.a. nach den Bedürfnissen des deutschen Arbeitsmarkts. Medizin, IT und Ingenieurstudiengänge seien beliebt.


Dieser Braindrain gerade der gut ausgebildeten jungen Generation mache aus Sicht der deutschen Wirtschaft und angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland zwar Sinn – „für Mazedonien aber ist er ein großes Problem“, so Ellereit. Sie betont, dass die FES ihre Aufgabe darin sehe, Mazedonien und seine Bevölkerung Vorort zu unterstützen.

Das Land hat derzeit mit vielen innenpolitischen Problemen zu kämpfen. Die vor zwei Jahren abgelöste Regierung habe eine gespaltene Gesellschaft hinterlassen, so Ellereit. Viele junge Mazedonier sehen die Zukunft ihres Landes düster. Doch immerhin habe sich das politische Klima seit dem Machtwechsel deutlich gewandelt; öffentlich Kritik zu äußern sei nun möglich. „Und das machen die Menschen auch laut und deutlich.“ Die Beziehungen zu den Nachbarstaaten, allen voran Griechenland, haben sich ebenfalls verändert. Im Bildungs- und Gesundheitssektor dagegen gibt es weiterhin große Probleme. Ellereit betont, dass nachhaltige Reformen (und der EU-Beitritt) nicht über Nacht stattfinden werden, es brauche Zeit und Geduld. „Das wird nicht schnell gehen.“

 

Kritische Journalisten – gefährliche Jobs für mutige Demokraten

Als Delegation mit vier Journalisten und einem Leiter einer Jugendorganisation waren die Treffen mit Medienmachern natürlich sehr interessant. Sowohl Goran Lefkov vom Büro für Investigativ-Journalisten „Scoop“ als auch mit der freien Journalistin Kristina Ozimek zeigten, dass das Bild von Mazedonien sehr realistisch ist, das sich uns in den bisherigen Gesprächen präsentiert hatte: Das Land ist bitterarm, weit verbreitete Korruption lähmt viele gut gemeinte Entwicklungsbemühungen, auch eine neue Regierung ist auf die Mitarbeit von alten Seilschaften angewiesen. Einzige Hoffnung sind die Nicht-Regierungsorganisationen, die meist keine Förderung von staatlichen Stellen erhalten, sondern von ausländischen Einrichtungen und damit eine gewisse Unabhängigkeit vom großteils unfähigen öffentlichen System bewahren.

Nach wie vor sind der Schmuggel von Menschen, Waffen, Drogen eine der großen Einnahmequellen im Land, die Balkanroute funktioniert prächtig – für Menschen, die es sich leisten können, korrupte Beamte an den Grenzen zu bestechen. Die Rolle der Medien hat sich zwar verbessert, es gibt mehr Freiheiten – aber die Besitzverhältnisse sind gleich geblieben, und so haben einige Oligarchen das Sagen darüber, was in den Medien berichtet wird. Plattformen wie Scoop können frei berichten, doch die Leserschaft ist nicht so breit, dass sie die öffentliche Meinung nachhaltig beeinflussen können.

 

Was wir bis dato nicht gehört hatten, wird im Gespräch mit den Kollegen sichtbar. Egal, wie der Namensstreit mit Griechenland um den Begriff Mazedonien ausgeht, der bilaterale Konflikt wird weiter gären, weil Ultra-Nationalisten auf beiden Seiten die Aversionen schüren und Annäherungsversuche untergraben.

Es sind daher insgesamt düstere Szenarien, die die Journalisten aufzeigen, und die in starkem Kontrast zur weit verbreiteten Hoffnung vieler Mazedonier stehen, dass die Beitrittsverhandlungen mit der EU zu einer schnellen Verbesserung der Situation im Land beitragen werden. „Irgendwie sind wir immer noch eine Art Bananenrepublik“, sagt Ozimek wütend, während andere Mazedonier im Raum bei diesen Worten betreten den Blick senken.

 

Text: Jörg Wild, Mitarbeit: Astrid Herbold und Tamara Vogel
Fotos: Jörg Wild